Mit einem Impulsvortrag hat die Kunstwissenschaftlerin Stefanie Dathe am Freitag den Friedrichshafener Kunstfreitag eröffnet. „Parasitäre Strategien in der Kunst“ lautete der Titel. Und obwohl zum gleichen Zeitpunkt das Viertelfinalspiel der Fußball-WM angestoßen wurde, ließen sich etwa 40 Zuhörer den Vortrag nicht entgehen.
Der Begriff Parasit kommt aus dem altgriechischen und bedeutet sozusagen „Nebenesser“. „Bei einem Parasiten handelt es sich um eine Lebensform, die nicht selbstständig leben kann“, erläuterte Dathe, „sondern auf eine andere Lebensform angewiesen ist.“ In der Regel werde der Parasit aus der Perspektive des Wirts beurteilt: Parasiten nutzen den Wirt nur aus. Dies zu unterstreichen zeigte Dathe auf der großen Leinwand Bilder von bekannten und abscheulichen Viechern, Milben, Zecken, Wanzen und Würmern. „So entsteht ein fatalistischer Blick.“
In der Kunst dagegen seien Parasitäre Strategien keineswegs immer nachteilig. Architekten, Modedesigner und Performancekünstler bedienten sich vielerlei bestehender Systeme, um neue künstlerische Objekte zu erschaffen – meist sogar mit einem gesellschaftlichen Nutzwert. So zum Beispiel sogenannte temporäre Unterkünfte. Das sind sozusagen Kunststoffzelte, die mit einem langen Schlauch an die Abluftsysteme großer Gebäude gekoppelt werden können. Für kurze Zeit finden Obdachlose in diesen Zelten eine warme Unterkunft: Nutznießer beheizter Räumlichkeiten.
Sind Terroristen Parasiten?
Zum Schluss erinnerte Dathe an den US-Präsidenten George Bush, der sagte, er wolle Terroristen, die nichts als Parasiten seien, ausrotten. In dem Zusammenhang zitierte Dathe auch den Komponisten Karlheinz Stockhausen, der den terroristischen Anschlag auf das World Trade Center in New York einmal als das größte Kunstwerk der Welt bezeichnete. „Ob man einen terroristischen Akt als Kunstwerk bezeichnen kann“, stellte Dathe in den Raum, „das möchte ich jetzt zur Diskussion stellen.“
Es folgte allerdings weniger eine Diskussion, eher noch eine philosophisch angeregtes Gespräch. Parasitäre Formen sind schwer zu definieren und können sowohl destruktiv als auch konstruktiv wirken – in der Kunst jedenfalls. Eigentlich, das klärte die Kunstwissenschaftlerin, die in Burgrieden das Museum Villa Rot leitet, eigentlich seien Terroristen weniger mit Parasiten zu vergleichen. Denn diese ließen ihren Wirt am Leben. Terroristen seien deshalb eher noch mit Viren zu vergleichen.
Bedauerlicher Weise würgte die Zeit am Ende die vielleicht spannendste Überlegung ab: Ist denn die Kunst selbst – gesellschaftlich gesehen – eine parasitäre Form ist? Denn sie stellt im Grunde nichts her, von dem ein Menschen leben kann. Das sei eine Frage, meinte Dathe, die nur zu klären sei, wenn man definiere, was Kunst eigentlich ist.
Und was Kunst ist, das fanden die Zuhörer dann selbst heraus, indem sie die vielen Ausstellungen und Performances des Kunstfreitags besuchten. Zu dem Zeitpunkt nämlich, zu dem es bereits 1:0 für Deutschland stand, war die Kunstnacht in Friedrichshafen bereits im vollen Gange. Und wie Bürgermeister Peter Hauswald in seiner Begrüßung sagte: „Wir machen durch bis Mitternacht. Solange hält kein Fußballer durch.“