Flüchtlinge als Botschafter der Krisen aus aller Welt – das ist auch am Bodensee immer mehr zu spüren. Darunter leiden die am meisten, die eigentlich Hilfe benötigen: 50 statt 35 Flüchtlinge werden ab sofort monatlich im Bodenseekreis aufgenommen, 600 pro Jahr, die Unterkünfte platzen aus allen Nähten. Das Problem: Städte und Gemeinden finden angeblich kaum noch Platz für die Hilfesuchenden.
625 Personen leben aktuell als Asylbewerber oder in ähnlichem gesetzlichen Status im Bodenseekreis. Sie stammen aus Syrien, Afghanistan, dem Kosovo und allen anderen Krisenherden der Welt. Größer ist die Zahl derjenigen, deren Asylverfahren abgeschlossen sind und die als ganz normale Bürger unter uns leben. 700 sind es allein seit 2011, sie sind Arbeiter, Angestellte oder, viel zu oft, leben von Hartz IV.
40 Prozent mehr dieser Menschen als bisher werden derzeit von der zentralen Verwaltungsstelle in Karlsruhe dem Bodenseekreis zugeteilt – so geht es den meisten Kreisen im Ländle. Ähnlich große Zahlen gab es zuletzt in den 90er-Jahren. Auch heute ist der Grund simpel: „Jeder kennt die aktuelle Weltpolitik“, sagt Reinhard Friedel, stellvertretender Sozialdezernent im Bodenseekreis.
12600 Euro für 18 Monate Überleben
Vier größere, sogenannte Übergangswohnheime, betreibt der Kreis zwischen Überlingen und Kressbronn. Sie sind über 95 Prozent ausgelastet. „Daran sieht man unsere Not“, so Friedel. Schon im Juli, heißt es in einer alarmierenden Sitzungsvorlage des Kreistags, könne die „ Quote von 50 Neuaufnahmen" nicht mehr erfüllt werden.
Noch schwieriger scheint es zu sein, wenn Kreis und Gemeinden versuchen, sogenannte Anschlussunterbringungen für jene Flüchtlinge zu finden, die auf längere Zeit in Deutschland bleiben. Das sind oft Mietwohnungen, Zimmer oder etwa das heruntergekommene Heim für 33 alleinstehende Männer aus aller Welt im Wachirweg in Friedrichshafen. Solange solche mehr oder weniger staatlichen Unterkünfte ausreichen, sind die Flüchtlinge zwar sicher. Doch weil der private Wohnungsmarkt im Bodenseekreis leergefegt ist, nimmt die Zahl der Ausweichmöglichkeiten ebenfalls ab. Die Folge: Ohne neue Kapazitäten stehen Flüchtlinge über kurz oder lang auf der Straße – trotz der 600000 Euro, die der Kreis jedes Jahr draufzahlt und der 12600 Euro Einmalzuschuss pro Flüchtling – für oft mehr als 18 Monate Aufenthaltsdauer – die hinten und vorne nicht ausreichen.
Friedel ist besorgt: „Wir sind jetzt an dem Punkt, an dem irgendwann jemand sagt: Wir wissen nicht mehr, wo wir die Leute unterbringen sollen.“ Auch Hans-Jörg Schraitle, Chef der Häfler Ausländer- und Polizeibehörde, kennt das Problem. 70 Personen will Friedrichshafen in diesem Jahr unterbringen. Tendenz steigend. Schraitle: „Es kommt was auf uns zu. Wir nehmen das sehr sehr ernst.“ In einer der ersten Sitzungen wird sich der neu gewählte Gemeinderat noch im Sommer mit dem Thema auseinandersetzen müssen.
Dabei haben sich Stadt und Landkreis längst von der Idee verabschiedet, Massenunterkünfte zu eröffnen, wie etwa in den 90er-Jahren im Fallenbrunnen in Friedrichshafen. Drei Morde gab es damals, dazu Drogen- und Prostitution – das passiert, wenn hunderte Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht werden, ohne Arbeitserlaubnis und kaum Aussicht auf ein besseres Leben.
Das will man heute besser machen. Friedrichshafen, so Schraitle, sucht dezentrale, kleinräumigere Lösungen, will gar eine „Willkommenskultur“ schaffen und eben keine Wohncontainer mehr „irgendwo in die Gegend stellen“. Ob das klappt, daran hat Schraitle offenbar selber Zweifel: „Ich weiß nicht, ob das in zwei Jahren dann doch der Fall ist.“ Insider berichten, dass Asylbewerber in Stadt und Kreis heute schon kaum mehr als das gesetzliche Minimum an Wohnraum und Ausstattung erhalten. Hilfe könnte jetzt aber auch aus der Bürgerschaft erwachsen. In Überlingen gibt es bereits einen Helferkreis für Asylbewerber. In Friedrichshafen und Markdorf sollen ähnliche Initiativen in den Anfängen stecken. Klar ist: Die Zeit drängt.
Das sagen die Gemeinden
In den Gemeinden des Bodenseekreises sucht man fieberhaft nach leerstehenden Wohnungen und Häusern:
In Oberteuringen ist es jetzt gelungen, ein Haus anzumieten, in dem etwa zehn Leute untergebracht werden können. Wie Bürgermeister Karl-Heinz Beck mitteilt, sei man dabei, das Gebäude bezugsfertig machen. Der Gemeinderat gab bereits im April grünes Licht für die Aufstellung von Wohncontainern auf dem Gelände des Bauhofs. Man sei auch an einem Grundstück dran, wo ein Wohngebäude in Einfachbauweise erstellt werden könnte, so der Bürgermeister.
In Eriskirch leben bereits elf Flüchtlinge. Angesichts der Notlage habe sich die Kirchengemeinde angeboten, eine Familie aufzunehmen, sagt Bürgermeister Markus Spieth. „Wir versuchen, integrativ tätig zu werden und haben damit bisher gute Erfahrungen gemacht“, so Spieth.
In Immenstaad lebt eine sechsköpfige syrische Familie im Bürgerhaus. Dort könnte man eine weitere Wohnung im ehemaligen Jugendtreff aktivierten, wie Bürgermeister Jürgen Beisswenger sagt. Möglicherweise werde man sich auch mit der Aufstellung von Wohncontainern beschäftigen müssen, so der Bürgermeister.
In Langenargen seinen einige Dinge in Vorbereitung, unter anderem sei eine kirchliche Liegenschaft angedacht.Bürgermeister Achim Krafft verweist auf die ehemalige Mitarbeiterwohnung in der Kläranlage, die mit Asybewerbern belegt sei. Dort stünde auch noch ein Baugrundstück zur Verfügung. (af)