Friedrichshafen / sz - Seit wenigen Wochen stehen Informationen zu rund 320.000 Briefkastenfirmen aus diesen den Panama Papers für jedermann im Internet. Schwaebische.de ist den Spuren gefolgt.
Am Ende tauchten dabei konkrete Namen im Bodenseekreis und in den Kreisen Ravensburg, Tuttlingen und Alb-Donau auf. Zwei der Investoren gaben sogar bereitwillig Auskunft über ihre Geschäfte.
Auf dem Bildschirm leuchtet die Adresse eines Unternehmers aus dem Bodenseekreis. Er leitet keinen Weltkonzern, keine Bank. Der Unternehmer, Gunther L.*, wohnt stattdessen in einem ganz normalen Wohngebiet und hat einen Allerweltsberuf. Gunther L. hat aber noch ein zweites Leben.
Der Weg dorthin wird auf dem Bildschirm durch einen grauen Pfeil markiert. Vom Eintrag des Herrn L. in der "Offshore Leaks Database" – den jüngst von den Panama-Papers-Investigativjournalisten veröffentlichten Datenauszügen aus dem Datenleck – führt der Pfeil zum Namen einer Firma: "Dream Capital Limited", Firmenstandort: Die Südseeinsel Samoa. Gemeinsam mit zwei weiteren Investoren aus anderen Ländern war Gunther L. Besitzer eines Unternehmens, das nach Kenntnis der "Schwäbischen Zeitung" niemals Mitarbeiter hatte, niemals etwas verkauft, gekauft, hergestellt oder vertrieben hat und vor knapp zwei Jahren auch sang- und klanglos wieder aufgelöst wurde.
Man muss noch einem weiteren Pfeil auf dem Bildschirm folgen, jenem zur Firma "Super Service Limited", um zu verstehen, mit welch unfassbar komplexem Netzwerk globaler Finanzströme Gunther L. mit seiner Firma verwoben ist. "Dream Capital Limited" von Gunther L. gilt laut Informationen der Online-Datenbank als eine Art zwischengeschaltetes Unternehmen für die Firma "Super Service Limited". Diese ist ihrerseits wieder eine Art Vermittler für ein weltweit verzweigtes Firmengeflecht, undurchdringlich und fast undurchschaubar. Teilweise sind unbekannte "Scheindirektoren" darin Geschäftsführer Hunderter oder Tausender Unternehmen, die nur auf dem Papier existieren.
Der Computer warnt vor dem nun folgenden Klick. Es droht wohl unübersichtlich zu werden: "Sie werden einen Knotenpunkt mit mehr als 50 Verbindungen öffnen, sind Sie sicher?", fragt das System.
"Anrüchig" oder "illegal"
Kurze Zeit später scheint der Bildschirm dann förmlich zu explodieren. Eine riesige Liste an schwarzen Punkten ploppt auf der Weltkarte auf. Mehr als 7000 Namen sind es, einer phantasievoller als der andere: "Fullworld International Corporation Limited", "Bright Sky Limited", "King Investments Limited", um nur ein paar zu nennen. Tausende Firmen in bekannten Steuerparadiesen wie Hongkong, Panama, Samoa, den "British Virgin Islands" werden über die "Super Service Limited" betreut, gesteuert oder beaufsichtigt – gänzlich aufklären lässt sich das derzeit nicht. Ist Gunther L. vom Bodensee also Teil eines multinationalen Konzernimperiums?
"In 99,9 Prozent der Fälle geht es darum, etwas zu verheimlichen", sagt der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft in Berlin, Thomas Eigenthalter, praktisch eine Art Sprecher von rund 79000 Mitarbeitern der deutschen Finanzämter und Finanzverwaltungen, zu Fällen wie diesem. Laut ihm gibt es keinen ökonomisch vernünftigen Grund, in Steuerparadiesen wie Panama, Samoa oder auch Hongkong Firmen zu gründen – außer, um dort Geld zu verstecken oder Steuern zu vermeiden. Eigenthalters These: Wer eine Firma wie Gunther L. besitzt, macht mindestens "anrüchige" und in vielen Fällen sogar "illegale" Geschäfte.
Viele Namen aus der Region
In diesem Fall wäre Gunther L. zwischen Alb und Bodensee, Donau und Oberschwaben aber alles andere als ein Einzeltäter. Die Daten von einem guten Dutzend Briefkastenfirmen aus der Panama-Papers-Datenbank führen derzeit nämlich direkt in die Region. Da wäre der Geschäftsmann, der von einer Adresse im Kreis Tuttlingen aus 16 Briefkastenfirmen auf den "British Virgin Islands" verwaltet hat. Da wäre der Name einer Unternehmerfamilie vom Bodensee, der im Namen einer einstigen Briefkastenfirma auf den Bahamas auftaucht. Da wäre ein Investor aus dem Alb-Donau-Kreis, der gemeinsam mit Verwandten auf einem anderen Kontinent Teilhaber einer Firma mit Adresse in Panama ist.
L. spricht am Telefon
Sind nun all diese Menschen mit ihren Unternehmen – viele davon wurden in jüngster Zeit aufgelöst – mutmaßliche Steuerhinterzieher? Oder gibt es einen anderen, guten Grund, warum Menschen aus der Region in den vergangenen drei Jahrzehnten immer wieder Unternehmen mit klangvollen Namen auf Karibikinseln gegründet haben?
Die "Schwäbische Zeitung" hat nachgefragt und beispielhaft den Unternehmer L. mit seinem Eintrag in den "Panama Papers" konfrontiert. Gunther L. gibt sich tatsächlich gesprächsbereit. Bei einem ersten Telefonat vor wenigen Wochen sagt der Unternehmer zwar überrascht, er wisse nichts von einer Firma namens "Dream Capital Limited". Er wolle unsere Behauptung allerdings prüfen. Dann dauert es nur wenige Tage, bis L. sich wieder meldet. Ja, er sei tatsächlich Teilhaber von "Dream Capital Limited" gewesen, räumt L. nun ein. Allerdings habe er kein Geld zu verstecken gehabt – weder vor dem Finanzamt, noch vor Angehörigen. Grund für den Start der Firma sei vielmehr ein Großprojekt gewesen. Der Mann mit seinem kleinen Unternehmen am Bodensee wollte offenbar in Südamerika Milliardensummen für eine gewaltige Industrieanlage sammeln und investieren.
Seine Geschäftspartner hätten dabei verlangt, so erzählt es Gunther L., dass dafür eine Firma gegründet werden müsse, um das Projekt anzukurbeln und zu betreuen. Dafür will sich Gunther L. mit seinen Partnern vom anderen Kontinent getroffen haben, um "Dream Capital Limited" zu gründen: "Die Firma war immer nur eine leere Hülle, das Projekt ist dann geplatzt", erklärt Gunther L. schließlich. Das würde doch auch erklären, warum es "Dream Capital Limited" seit rund zwei Jahren nicht mehr gebe.
"Das ist eine Geschichte, die man glauben kann oder nicht", sagt Thomas Eigenthalter zu den Aussagen des mutmaßlichen Großinvestors L. "Uns wird eine Geschichte erzählt, und jetzt muss man gucken, was man da draus macht." Zwar würden die Aussagen von L. im ersten Moment plausibel klingen. "Wenn man aber ähnliche Geschichten 20-mal im Jahr hört, wird man als Steuerbeamter irgendwann stutzig", fasst der Experte zusammen.
Schaden: Eine Billion Euro
Glaubt man Eigenthalter, ist es für Steuerfahnder und deutsche Behörden nahezu unmöglich, den Wahrheitsgehalt von Aussagen wie jenen von Herrn L. zu überprüfen. Da müsste ein Finanzexperte schon einmal um den Globus jetten, um ein einzelnes Puzzlestück der komplexen Firmenkonstrukte zu prüfen.
Selbst wenn deutsche Finanzämter nicht seit Jahren Personalmangel beklagen würden, wäre das wohl mehr als illusorisch. Die EU schätzt daher, dass aufgrund der Nutzung von Steueroasen durch Privatpersonen und Unternehmen jährlich bis zu einer Billion Euro an Steuern am Fiskus vorbeigeschleust werden. Da klingt Eigenthalters Schätzung von einem Schaden von jährlich rund zehn Milliarden Euro allein für Deutschland fast zurückhaltend.
Ob das Handeln des Unternehmers L. aus dem Bodenseekreis in Panama wirklich illegal, einfach nur fragwürdig oder sogar vollauf korrekt war, konnten die Recherchen der "Schwäbischen Zeitung" nicht abschließend klären. Für L. spricht, dass er in einem der wenigen Datensätze aus den Panama Papers erwähnt wird, die mit Klarnamen und einer eindeutigen Adresse verbunden sind. Für die Mehrzahl der Einträge trifft genau das nicht zu. Meist führen äußerst phantasievolle Firmennamen nur ins Leere, zu Briefkastenadressen in aller Welt, zu Besitzern ohne Namen.
Für Herrn L. gilt also die Unschuldsvermutung. Und vielleicht hat ihn ja einfach dieselbe Erkenntnis getroffen, die ein weiterer Unternehmer aus dem Kreis Ravensburg eines Tages hatte. Auch sein Name taucht im Zusammenhang mit einem mutmaßlichen Briefkastenunternehmen in der Panama-Datenbank auf. Er habe die Firma eines Tages gegründet, um Kontakte mit Partnerfirmen in Asien zu pflegen, sagt er im Gespräch. Der eine oder andere mögliche Steuervorteil der Firma in einem bekannten Steuerparadies sei ihm zumindest aufgefallen.
Kurze Zeit später löscht der Mann aus Oberschwaben die Firma aber wieder, das bestätigt auch die Datenbank. "Als diese ganzen Geschichten zu Steuerparadiesen und Steuerhinterziehung aufkamen", sagt er nun, "wurde mir das einfach zu heiß."
*Namen, Firmennamen, Orte, Zeiten und Ländernamen in diesem Text wurden teilweise geändert oder vertauscht, um die Persönlichkeitsrechte betroffener Privatpersonen zu schützen.