Friedrichshafen / sz - Am Mittwochabend war’s wieder mal so weit: Die Arbeit getan, all die monatelangen Vorbereitungen, Trainingseinheiten, Besprechungen absolviert – und der Lohn ganz nah. Sieben Punkte nur noch, und der VfB Friedrichshafen hätte am Sonntagnachmittag in der ZF-Arena nach dreijähriger Abstinenz wieder Deutscher Meister werden können, zum 13. Mal seit 1998. Stelian Moculescu kennt sich aus mit diesen Situationen. "Im Januar werden es 40 Jahre", sagt er. So lange ist er schon Volleyballtrainer – ein ganzes Berufsleben lang, seit 1997 am Bodensee.
8:8 stand es in diesem Tiebreak, dem auf 15 Punkte verkürzten Entscheidungssatz bei 2:2 Satzgleichstand. Moculescu stand draußen am Spielfeldrand in der Berliner Max-Schmeling-Halle und wusste, dass er nun nichts mehr tun konnte. Nur hoffen. Hoffen, dass es einer seiner Spieler sein würde, der die richtige Entscheidung treffen würde, der die Bälle schlagen würde, die den Unterschied machen zwischen Sieg und Niederlage. "Ich hab’ die Auszeiten genommen, gewechselt – mehr geht nicht. Ich kann das Spiel nicht stoppen mit der Polizei."
Die Dinge beim Namen nennen
Weil die Gesetzeshüter für Volleyball nicht zuständig sind, musste Moculescu also mitansehen, wie Kawika Shoji, der Spielmacher des Meisters Berlin Recycling Volleys, mit einer Aufschlagserie dafür sorgte, dass es am Sonntag für den VfB eben nicht um den 13. Titel, sondern nur um den zweiten Sieg in der Endspielserie geht. "Das ist das gleiche Gefühl wie die Sau beim Metzger", sagt Moculescu. Auch für diese Art der Ausdrucksweise ist er bekannt: drastisch, überzeichnet, bilderreich. Für die Diplomatenschule sind andere gemacht, Moculescu nennt die Dinge ganz gern beim Namen.
Das kommt nicht immer so gut an, vor allem nicht bei seinen Gegnern. Und davon gibt es einige, schon weil Moculescu "nicht verlieren kann" und sich deshalb früh entschieden hat, alles zu tun, was nötig ist fürs Siegen. Das hat zu einem Palmarès geführt, für das jeder Fußballtrainer in Deutschland unverzüglich in den Adelsstand erhoben werden würde. 47 Titel hat er gesammelt. So etwas schafft Neider.
Vorgezeichnet war ihm diese Karriere, dieses Leben nicht. Geboren am 6. Mai 1950 im rumänischen Kronstadt, ist Moculescu in Temesvar unter der Obhut der Großeltern und der Mutter in einer Großfamilie aufgewachsen – ohne Geschwister, aber mit Tanten, deren Kinder und "Wildfremden" – wie es Usus war im Kommunismus, wo den Menschen Wohnraum zugeteilt wurde. Den Vater hat er "vielleicht zehnmal getroffen im Leben", über den mag er nicht reden, lohnt sich nicht. Trotzdem: "Es war eine glückliche Kindheit ohne Sorgen, einfach, aber behütet. Ich hatte, was es zum Leben braucht: Schule, Sport und ein bisschen Spaß."
Dass er immer viele Ältere um sich hatte, bezeichnet Moculescu als Glück. "Von denen konnte ich lernen, das hat mein ganzes Leben geprägt. Vom Kopf her war ich immer ein bisschen weiter als andere Gleichaltrige." Auch, als es darum ging, der verhassten Bevormundung durch das Regime ein Ende zu setzen. 1972 bei den Olympischen Spielen in München nutzte er seine Kontakte zum damaligen Bundestrainer Manfred Kindermann und setzte sich von der rumänischen Nationalmannschaft ab.
Der Start im neuen Land war trotz seiner Deutschkenntnisse "fürchterlich". Kindermann trainierte den USC in Münster, wo Moculescu, der sechs Semester Hochbau-Studium in Bukarest absolviert hatte, als Angreifer auf dem Feld und als Hilfsarbeiter auf dem Bau agierte. "Das hat mir gar nicht gefallen", sagt er und meint damit nicht etwa die Maloche auf dem Bau. Er wollte schon aufhören mit dem Volleyball und sich auf den Beruf konzentrieren, da nahte Rettung aus München, wo der Bundesligist TSV 1860 Hilfe suchte.
Die Rückkehr in die bayerische Hauptstadt änderte alles. Bei 1860 durfte Moculescu Zuspieler sein, der Abteilungsleiter hatte eine hübsche Tochter, die alsbald Frau Moculescu wurde, und wenig später, noch extrem jung an Jahren, durfte der Exil-Rumäne als Spielertrainer sein Führungstalent entdecken und entwickeln. Es war unverzüglich losgegangen mit den Erfolgen, sportlich und familiär.
Der erste Titel, das erste Kind. Nur die kargen Finanzen beinträchtigten das pralle bajuwarische Leben – mit Volleyball war in Deutschland kein Staat zu machen und schon gar kein Geld. "Die ersten 15 Jahre war das reines Hobby, ich habgleichzeitig gearbeitet", erinnert sich Moculescu. Der Traum, sein Hobby zum Beruf zu machen: eine ferne Schimäre damals.
Aus den Augen verloren hat er dieses Ziel nie. "Ich habe Volleyball immer geliebt – das ist ein Virus, ein Bazillus." Die volle Leidenschaft halt, aller Titelsammlerei zum Trotz "mit der Betonung auf Leiden", wie Moculescu oft erfahren musste. Es ist halt nur Volleyball – ein Sport, der in Deutschland viele unwesentlich mehr interessiert als Snooker oder Wasserball. Ein Sport, der hierzulande mancherorts amateurhaft in Schulturnhallen betrieben wird – in der Bundesliga wohlgemerkt, auch heute noch. Ein Sport, dem es an Geld, Aufmerksamkeit, Fernsehzeiten mangelt. Ein Sport, in dem der Etat einer Bundesligamannschaft kleiner ist als das Jahressalär eines 18-jährigen, leidlich talentierten Reservisten eines Fußball-Bundesligateams.
Moculescu arbeitet sich ab an diesen Unzulänglichkeiten seines Sports, seit Jahrzehnten. Wie Don Quijote kämpft er einen aussichtslosen Kampf gegen Windmühlen, einen, den er nicht gewinnen kann. Er, der doch sonst nahezu alles gewonnen hat. Die Ignoranz der Masse, die Unfähigkeit der Funktionäre, die Uneinsichtigkeit der TV-Gewaltigen, das mangelnde Engagement von Kollegen – all das drohte ihn schon in den Wahnsinn zu treiben. Dann ist es aus ihm herausgebrochen, dann hat sich der Frust darüber, dass nicht alle sich dem Volleyball mit so professioneller Hingabe widmen wie er selbst, in wüsten Tiraden niedergeschlagen, die nicht so gut ankamen in der Szene und ihm Feinde bescherten – auch im eigenen Verein, den er zum FC Bayern des Volleyballs gemacht hat.
Inzwischen nimmt er sich öfter mal zurück in seiner Diktion, aber auf klare Worte möchte er weiterhin nicht verzichten. "Mit vielen Funktionären oder Politikern ist es so: Wenn die ein Amt erreicht haben, vergessen sie, dass die Arbeit jetzt erst anfängt." Er selbst hat nie aufgehört, seine Arbeit in erster Linie als Dienstleistung an seinem Sport und seinen Spielern zu verstehen, bei allem Wunsch nach Anerkennung. "Ich schau, dass die Spieler den höchsten Benefit haben, dann hab’ ich den größten Profit." Moculescu hat das Leben manches Spielers verändert, das darf er ohne Übertreibung behaupten. Viele verdanken ihm eine Menge, nicht nur materielles Wohlergehen. Sein Ansehen in Spielerkreisen könnte höher kaum sein. Das Rezept? Ganz einfach: "Ich behandle die Spieler so, wie ich behandelt werden möchte."
Vorbei und vergessen
Diese Maxime auch auf Funktionäre und Schiedsrichter auszuweiten, haben ihm sein Temperament und seine Emotionalität nicht immer erlaubt. Auch deshalb gab es eine Phase, wo er daran dachte, es gut sein zu lassen und mit 65 in Rente zu gehen – ausgelaugt von den Scharmützeln mit dem Verband wegen der Nationalmannschaft, die er aus der Bedeutungslosigkeit in die Weltspitze zurückgeführt hatte, angeschlagen vom Verlust der Vorherrschaft in Deutschland an die Volleys Berlin.
Vorbei, vergessen, es hat ihn noch mal gepackt. Moculescu will noch mal zurück an die Spitze mit dem VfB, er will wieder Meister werden und noch einmal mitspielen, wenn die Großen in Europa den Champions-League-Titel ausspielen. "Zwei, drei Jahre will ich noch machen", sagt er – das Einverständnis des Beirats vorausgesetzt. "Ich hab’ meinen Frieden gefunden, ich bin mit mir und der Welt im Reinen."