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"Einer von Ihnen lügt"

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Friedrichshafen / sz - Wer sagt die Wahrheit? Wer lügt? Wer ist überhaupt das Opfer? Und wer der Täter? Mit diesen Fragen musste sich am Donnerstag das Amtsgericht Tettnang beschäftigen, als es einen Vorfall verhandelte, der am Morgen des 30. Januar 2014 einen großen Polizeieinsatz in Friedrichshafen ausgelöst hatte. Ein Urteil wird erst bei einem Fortsetzungstermin gesprochen.

Laut Anklageschrift soll an jenem Januarmorgen ein Mann seiner Nachbarin im Treppenhaus zwei Schnittverletzungen im Gesicht zugefügt haben. Das mutmaßliche Opfer, wichtigster Zeuge der Anklage und Nebenklägerin, schilderte den Tatablauf folgendermaßen: Sie möchte um 8.30 Uhr ihre Kinder in den Kindergarten bringen, als der Angeklagte und seine Ehefrau aus ihrer Wohnung ins Treppenhaus stürmen und mit den Worten "Jetzt bist du dran" auf sie losgehen. Der Mann klappt ein Messer auf und fügt ihr die vier und acht Zentimeter langen Schnittwunden im Gesicht zu. Dann lässt er ab. Die junge Frau, eigenen Angaben zufolge "in Todesangst" und "total geschockt", läuft mit ihren Kindern zum Auto. Sie fährt los, rammt dabei eine Mülltonne, parkt nach wenigen Metern, dann wird sie von einer Passantin angesprochen. Ihr Schwager, der zufällig vorbeikommt, ruft die Polizei.

Der Angeklagte schilderte den Sachverhalt ganz anders. Er sieht sich vielmehr als Opfer – als Opfer in einer Auseinandersetzung, die sich am Vorabend, also am 29. Januar 2014 zugetragen haben soll. Und zwar so: Er will mit seinem Auto in den Hof fahren, aber die Schwester des vermeintlichen Opfers blockiert die Zufahrt. Er hupt, sie beleidigt und beschimpft ihn. Dann taucht ihr Mann – der oben genannte Schwager – auf und zerrt ihn an der Jacke aus dem Auto. Die junge Frau, die tags darauf verletzt wird, kommt ebenfalls hinzu. Mit Steinen und einem Messer greifen sie ihn zu dritt an. "Ich dachte, die wollen mich umbringen", erklärte der Angeklagte. Schluss ist erst, als Gäste aus dem nahen Restaurant und Nachbarn hinzukommen.

Ein Streit um den Parkplatz

Am nächsten Morgen, berichtete der Angeklagte, habe es bei ihm sturmgeklingelt. Er macht nicht auf. Er und seine Familie trauen sich nicht aus dem Haus, weil sie befürchten, dass unten der Schwager wartet, der ihnen etwas antun will. Hinuntergegangen sei er erst, als die Polizei da war. Mit den Verletzungen der Frau, betonte er, habe er nichts zu tun. Er bezichtigte stattdessen den Schwager, ihr die Schnittwunden im Auto beigebracht zu haben und ihm die Tat in die Schuhe schieben zu wollen. Die Ehefrau des Angeklagten stützte dessen Version der Tat. Sie erklärte zudem, dass sie vom Fenster aus einen Mann gesehen habe, der eine Pistole bei sich trug.

"Wir haben hier zwei völlig konträre Versionen. Einer von Ihnen lügt", stellte die Richterin fest. Die Befragung durch das Gericht ergab, dass zwischen dem Angeklagten und der verletzten Frau schon längere Zeit ein Streit geschwelt hatte. Der Grund hierfür: ein enger Parkplatz im Hof. Auch nach der Vernehmung der anderen Zeugen – Nachbarn, Restaurantgäste und der Passantin – blieben am Donnerstagabend noch einige Fragen offen, zum Beispiel zum genauen Ablauf des Handgemenges am Vorabend. Diese sollen bei einem Fortsetzungstermin geklärt werden.

Die Verhandlung wird am Freitag, 8. Mai, um 9 Uhr fortgesetzt. Auf dem Programm stehen die Plädoyers und die Urteilsverkündung.


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