Friedrichshafen / sz - Abende wie dieser geben einem beim Aufstehen entweder das Gefühl, man sei – im Gegensatz zu den Künstlern – steif und habe Blei an den Füßen, oder man erhebe sich in ungewöhnlichen Bewegungen und Sprüngen über den Erdboden: In vier höchst unterschiedlichen Choreographien erlebte man im Graf-Zeppelin-Haus die São Paulo Dance Company, die gerade auf Europa-Tournee ist.
Spielerisch, schnell und witzig eröffneten drei Tänzerinnen und fünf Tänzerinnen den Abend mit "Peekaboo"– "Guck-Guck" getanzt, mit runden Hüten (Melonen), die vor dem Gesicht oder vor dem Körper getragen und bewegt werden und hinter denen man sich verstecken, zurückziehen kann. In seiner Choreographie betont der Deutsche Marco Goecke, den Freunde des Stuttgarter Balletts besonders schätzen dürften, die schnelle Bewegung mit rollenden, zuckenden Schultern. Der wilde Gesang eines finnischen Chors und die spritzig heitere Simple Symphony, die der Komponist Benjamin Britten ursprünglich für ein Schulorchester geschrieben hatte, bringen starke Kontraste in Stimmung und Bewegung.
Musik von Heitor Villa Lobos liegt "Bachiana Nr. 1" von Rodrigo Pederneiras zugrunde, Musik, die die Strenge einer Fuge von J.S. Bach mit der Sinnlichkeit und Wärme brasilianischer Klänge aufzuladen scheint. 15 Tänzerinnen und Tänzer in weit schwingenden Hängekleidern und eng anliegenden hautfarbenen Bodys lassen sich tragen von der Vielfalt der Schrittkombinationen: Sprünge, weit zur Seite ausgreifende Schleifschritte, Duos und ausdrucksvolle Soli nehmen das Publikum mit. Im Mittelpunkt ist im langsamen Satz ein eng verbundenes Paar in einem wunderbar unangestrengten Pas de deux mit vollendeter Körperbeherrschung und feiner Erotik. Die Konzentration ihres Tanzes wird im anschließenden Reigen der Figuren wiederum verwandelt in Leichtigkeit.
Suchen und Finden
War dieses Stück ganz vom klassischen Ballett getragen, so vermittelt "Mamihlapinatapai" Sinnlichkeit pur: Wenn man ein Wort wie dieses aus der Sprache eines Volksstamms in Feuerland nicht übersetzen kann, dann macht man auf der Basis von sehnsüchtigen Schlagern und dem Pulsieren von Herzschlagen ein Tanzstück von 21 Minuten Länge daraus: Vier Paare, eng verschlungen in einem Menschenknäuel, lösen sich, die weiche portugiesische Sprache und das anschmiegsame Suchen und Finden des Anderen werden eins. Finger, Arme, Beine, Körper können nicht voneinander lassen, Hebungen über Kopf wirken ganz und gar natürlich, Sehnsucht, Begehren und Körperlichkeit spiegeln sich in jeder Wendung. Auch die roten Akzente der zipfeligen Kostüme passen wunderbar ins Bild.
Und wenn man meint, das Bewegungsrepertoire der São Paulo Dance Company sei jetzt erschöpft, dann verzaubert der spanische Choreograph Nacho Duato in "Gwana" mit 7 Paaren nochmals auf neue Weise mit spanisch-islamischer Musik und Tanzkultur vom Feinsten. Rituale in der Verschmelzung der Gruppe, die Symbiose der Körper mit den hellen Hosen der Männer und den asymmetrisch geschnittenen schwarzen Kleidern der Frauen, das Schwingen der Bewegung tief aus den Knien heraus und die vielfarbige Musik entwickeln eine ungeheure Sogkraft voller Wärme und Poesie.