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Ein Tastenzauberer

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Friedrichshafen / sz - Als Einspringer ist der 18-jährige Yojo Christen am Sonntagmorgen für den erkrankten Alexander Wagner in den Kiesel gekommen und wieder mussten noch zusätzliche Stühle auf die Bühne gestellt werden. Dabei war er selbst erkrankt, saß mit Fieber am Klavier. "Da musst du durch", hatte sein Adoptivvater und Lehrer Franz Hummel zu ihm gesagt, und keiner hätte es gemerkt, wenn er nicht ungewöhnlich ernst gewirkt und nur eine kurze Zugabe gegeben hätte.

Es ist einfach eine Freude, die fortschreitende Reifung dieses ungewöhnlichen Talents mitzuerleben. Erwachsen ist er geworden, männliche Züge hat er angenommen, nicht nur wegen des leichten Barts. In Jeans und Turnschuhen ist er gekommen wie früher der Zwölfjährige, das Jackett landet bald am Boden.

Wenn Yojo Christen spielt, bannt er seine Zuhörer. Man könnte eine Stecknadel fallen hören, so intensiv nimmt sein Spiel gefangen. Eine Freude ist das Spiel der Hände, der langgliedrigen Finger, die kraftvoll auf die Tasten fallen oder sie nur wie ein Hauch berühren. Ob er kurz einhält, Tempi verzögert oder beschleunigt, ein Pianissimo zelebriert oder leidenschaftliche Stürme entfacht – nie stellt er Virtuosität zur Schau, immer spürt man die bewusste Gestaltung.

Verhalten geht er Beethovens Grande Sonate Pathétique c-Moll op. 13 an, die erschütternde Auseinandersetzung des Komponisten mit seiner drohenden Taubheit. Auf düsteres Aufbäumen, schmerzliche Dissonanz folgt schicksalhafte Ergebung ins Unvermeidliche, das auch in die schwebende Schönheit des Rondos noch seine düsteren Schatten wirft. Hochdramatischer Aufschrei steht neben betörender Gesanglichkeit, trotzig spricht der Schlusssatz von erwachendem Lebensmut – eine Wechselbad der Emotionen.

Noch aufwühlender, mit fiebriger Leidenschaft interpretiert Yojo Christen die dramatische Gefühlswelt in Chopins Klaviersonate Nr. 2 b_moll op. 35. Majestätisch tritt der Tod auf, nimmt den Zuhörer hinein in seine unbegreifliche Macht und führt in wehmütiger Schönheit aus dem Dunkel in ein beseligendes Licht, Klarheit wird zur Verklärung. Wie ein Sturmwind fegt der letzte Satz dahin, saust, wie Artur Rubinstein sagte, über die Gräber.

Zwischen diese Werke fügte der Pianist und Komponist als Uraufführung drei eigene "Charakterstücke", die in spannender Tonmalerei in ganz unterschiedliche Welten entführten. So überstürzte sich in der Komposition "Niagara" die Gewalt des Wassers, sprühende Nebel mischten sich mit donnernder Wucht. Da war noch ein leise tanzendes Element, immer wieder fortgerissen und doch sich behauptend, still verklingend. Unwirklich funkelten in der meditativen "Sternennacht" immer neue Lichtpunkte aus dem Dunkel, während zuletzt im "Harlekin" die irrwitzigsten Impulse nur so aus den Tasten schossen, ein köstliches Spiel, wie leichthin improvisiert.


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