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An den Grenzen der Worte wird getanzt

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Friedrichshafen / sz - Menschen, die in Büroregalen kauern und Klarinette oder Gitarre spielen, sich herauswinden, miteinander ringen, kopfüber in Manuskripten lesen, in Papieren wühlen – man wird die verqueren, bedrängenden Bilder nicht los, die das Ensemble Kumpane aus Schaffhausen auf die Bühne bringt. Am Dienstag- und Mittwochabend hat das Schweizer Ensemble mit seinem Tanztheater mit Live-Musik im Kiesel im k42 gastiert und eine Stunde lang die Zuschauer fasziniert.

Die vorige Produktion hatte das Kulturbüro Friedrichshafen so überzeugt, dass sie als Ko-Produzent die Bühne für die Proben zur Verfügung stellte. Es wird getanzt, live Musik gespielt und gesprochen – Letzteres, auch wenn es die hochdeutsche Fassung war, noch mit so viel Schwyzerdütsch, dass wohl nicht jeder dem ganzen Text von Andri Beyeler folgen konnte. Hier könnten sie außerhalb der Schweizer Grenzen dem Zuschauer noch etwas entgegenkommen, doch dem Ganzen tat dies keinen Abbruch.

Unsichtbares und Sichtbares

„Fahnenflucht – Vom Einsetzen und Absetzen“ lautet der Titel, der nur einen Strang der Geschichte abdeckt. Denn der Berner Buchdrucker, „Edel-Anarchist und Edel-Sozialist“ Fritz Jordi, der in den 1920er Jahren kommunistische Schriften druckte, in die Mühlen der Justiz geriet und später im Tessiner Weiler Fontana Martina über Ronco sopra Ascona eine Land- und Künstlerkooperative aufbaute, ist Gegenstand eines Manuskripts, das die Hauptfigur, eine Verlegerin, begeistert angenommen hat, während ihr jetzt, als es im Druck ist, die größten Zweifel kommen. Kann sich der kleine Verlag das riskante Buch leisten? Darf sie persönlichen Präferenzen nachgehen, ohne auf die Wirtschaftlichkeit zu achten? Das Duo Tina Beyeler und Sebastian Krähenbühl, Tänzerin und Schauspieler, lebt die Beziehung von Verlegerin und Buchgegenstand aus, begleitet von Sandro Corbat und Ulrich Pletscher, die unsichtbar und sichtbar Geräusche erzeugen oder musizieren.

Erschöpft liegt die Frau nächtens über ihrem Tisch, vor sich Ordner mit Papieren, die später über dem ganzen Boden verstreut sein werden. Aus dem Anrufbeantworter tönen ständig Stimmen, einer äußert Bedenken, sie stellt die Stimme ab. Hinter dem Regal kriecht ein Mann hervor, kriecht in ihr Leben, liest ebenfalls in Papieren, liest die Vita des Fritz Jordi, ist das personifizierte Buch.

Die Frau lebt ihre Unsicherheit, ihre Zweifel in mechanischen Bewegungen und Zuckungen aus, wie in eine Maschine gepresst tanzt sie ihre Überforderung, blickt wieder in die Vorlage. Sie ringt mit der Figur, gewinnt Oberhand und unterliegt wieder, ein faszinierendes, Tanz gewordenes, ästhetisch-akrobatisches Ringen zweier Figuren, die zueinander streben, nicht voneinander loskommen. Verzweifelte Ansätze, das Manuskript zu verstreuen, enden wieder in teilweisem Einsammeln. Die Verlegerin will weiterhin auf ihre Weise, abseits des Mainstreams arbeiten – so wie das fesselnde Ensemble Kumpane.


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