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Lesung bei Fiederer in Friedrichshafen

Friedrichshafen / sz - Viele Stühle sind freigeblieben, als Michael Göring am Mittwochabend auf Einladung von ZU-Studenten und Thomas Fiederer in dessen Buchhandlung aus seinem Roman „Vor der Wand“ gelesen hat. Zum Glück waren wenigstens einige ZU-Studenten gekommen.

Dem Satz „Alle Väter waren Täter“ steht der Satz „Ich habe immer nur meine Pflicht getan“ gegenüber. Es geht um Schuld und den Umgang damit. Im Mittelpunkt des Romans, der im Zeitraum von 1959 bis heute spielt, steht der Ich-Erzähler Georg, dessen Lebensweg anders verlaufen ist, als er und die Familie es erwartet hatten. Michael Göring, Stiftungsmanager und Honorarprofessor am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Musikhochschule Hamburg, erklärt anfangs, dass es um eine Auseinandersetzung mit dem Vater gehe, dessen totgeschwiegene Rolle im Weltkrieg der Sohn zu ergründen sucht. Ein Thema, das den Autor aufgrund seiner Namensgleichheit mit der Nazi-Größe Hermann Göring früh interessiert hatte.

Der Autor – dunkel gekleidet, dass man eher an einen Pastor denkt - startet bei einem Oktobertag 1987, unterbricht die Erzählung durch verschiedene Rückblicke. Sehr lebendig ist der Einstieg mit einem Gedächtnisgottesdienst für den fünf Jahre zuvor verstorbenen Vater. Der Erzähler skizziert kurz die Personen um ihn herum, beschreibt, wie sie singen, fragt sich, was sie gerade denken. Auch die eigenen Gedanken schweifen ab. Damals vor fünf Jahren hatte er eine nette junge Frau neben sich sitzen, doch die Beziehung hat nicht gehalten. Scheitern, obwohl er beruflich durchaus die Füße auf den Boden bekommen hat, doch seinen eigentlichen Lebenswunsch hat er aus Trotz gegenüber dem Vater nicht verfolgt.

Anders als bei solchen Lesungen üblich, spart Göring den Kern nicht aus. Und dennoch ist hinterher der Wunsch, das Ganze zu lesen, keineswegs geringer. Der Vater hat Entscheidendes für sich behalten.

Erst wenige Tage vor seinem Krebstod bekennt er, dass er 1944 in der Toskana an einem Vergeltungsschlag der SS gegen Partisanen teilgenommen und auf Befehl auf unschuldige, wehrlose Menschen geschossen hat. Sein Schweigen hat das Verhältnis zu seinem Sohn, der immer auf der Suche war, nachhaltig gestört. Um den Umgang mit Schuld geht es in diesem Roman, der eine fiktive Handlung um einen authentischen Fall baut.

Der Autor sagt nach der Lesung im Gespräch mit ZU-Student Sven Liebert, dass er bewusst diesen Weg gewählt habe. Die hinzugefügte emotionale Ebene schaffe eine andere Möglichkeit des Zugangs als ein Sachbuch. Zudem dürfe man auch die Lust am Erzählen nicht vergessen. Von der Verdrängung unliebsamer Erlebnisse ist die Rede, von den Nachwirkungen auf die nächste und übernächste Generation. Hier drängt sich der Vergleich auf mit dem, was Jüdinnen der Enkelgeneration in den vergangenen Jahren im Kiesel gelesen haben.


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