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Verschlungene Lebenslinien

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Friedrichshafen / sz - „Was ist am Roman fiktiv?“ Die Frage, die Oswald Burger am Anfang der Lesung von Vanessa Fogel im Kiesel in den Raum warf, ist unbeantwortet geblieben. Und doch hat die Autorin über die Hauptfiguren ihres erst vor etwa zwei Wochen erschienenen zweiten Romans „Hertzmann’s Coffee“ gesagt: „Die Beziehung zwischen Yankele und Dorale ist womöglich das Schönste, was mir je begegnet ist.“

In welcher Beziehung steht die Angehörige der dritten Generation zu dem alten jüdischen Paar? Ist es ein Liebesroman über den 85-jährigen Yankele und seine Frau Dorale? Das auch, aber das ist nur ein Strang des Romans, der nach New York wie nach Berlin und Caracas führt, und das in drei Zeitebenen, mit drei Ich-Erzählern aus drei Generationen.

Oswald Burger, der Literaturkenner aus Überlingen, hat die am selben Tag aus Tel Aviv angereiste Autorin vorgestellt: 1981 in Frankfurt geboren, mit vier Jahren mit den Eltern nach Israel ausgewandert, seit zehn Jahren in den USA, seit 2007 auch viel in Tel Aviv lebend. Studiert hat sie Vergleichende Literaturwissenschaft in New York und Englisch in Tel Aviv, zu Hause wurde Deutsch gesprochen. Für sie kein Problem, sie fühle sich in allen drei Kulturen zu Hause, sagt sie.

Jüdische Identität

In ihren Romanen aber fragt die Enkelin eines polnischen Juden nach der jüdischen Identität, beschäftigt sich mit der Lebensgeschichte von Holocaust-Überlebenden und den nachfolgenden Generationen. In ihrem ersten Roman „Sag es mir“ hat eine Enkelin ihren Großvater auf einer Reise in die Vergangenheit nach Polen begleitet und so von ihren Wurzeln erfahren, sich selbst besser kennengelernt.

In „Hertzmann’s Coffee“ erzählt sie wieder eine Familiengeschichte. Yankele hat mit seiner Frau Dorale in den USA ein Kaffeeimperium aufgebaut und will es seinen Kindern übergeben, doch es kommt zum Streit, zum Bruch, die Generationen verstehen einander nicht: „Der Stolz auf die Familie ist verflogen, wie konnte dies geschehen?“ Yankele erkennt, dass er von der Vergangenheit reden muss, und tut es nachts allein vor einer Kamera, um das Video in Youtube zu stellen: „Ich hätte so viel zu sagen gehabt, wenn mir nur jemand zugehört hätte.“

In ihrer Lesung im Kiesel in Friedrichshafen stellt die Autorin Ausschnitte aus allen drei Handlungssträngen vor, die, wie Burger verriet, sich auf den letzten 50 Seiten zusammenfügen. Sie lässt den alten Patriarchen in New York erzählen, sie lässt einen 16-Jährigen in Berlin im Jugendjargon vom Streit mit dem Bruder, mit der Mutter erzählen und sie lässt einen Mann mittleren Alters von seiner sterbenden Mutter erzählen, die etwas nicht loslassen kann. Sie kommt zurück zu Yankele, geht mit ihm in die Vergangenheit zurück zu einer verlorenen Schwester. Doch die Zusammenhänge verrät sie ihren Zuhörern nicht, die werden erst die Leser erfahren.


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