Friedrichshafen / sz - Ein bisschen empört, sehr engagiert und äußerst sympathisch hat Spitzenköchin Sarah Wiener am Montag in der Buchhandlung Ravensbuch übers Essen und den verantwortungsbewussten Umgang damit gesprochen. Dabei forderte sie zu weniger Industrie und mehr Individualismus in der Küche auf. Ihr Publikum stimmte zu und dankte mit viel Applaus. Ihr neues Werk „Sarah Wieners Kochbuch fürs ganze Jahr“ spielte an diesem Abend eher eine Nebenrolle.
Sarah Wiener flimmert derzeit täglich um 19.30 Uhr über die Bildschirme. Arte zeigt da „Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener“. „Kennen Sie das?“ Das Publikum nickt. „Ohje, dann sind ja alle 300 Zuschauer aus Friedrichshafen. Arte hat ohnehin nicht die Wahnsinnsquote“, sagt die passionierte Köchin lachend. Die Plätze in der gut gewärmten Buchhandlung sind alle besetzt. Die Veranstaltung ist ausverkauft. Das Gros ist weiblich und kocht gern. Auf die Frage, wer dies nicht tue, hebt nur einer die Hand. Eine Lanze für die Liebe zum Kochen muss die 52-Jährige an diesem Abend ganz sicher nicht brechen.
„Das ist doch beschissen“
Jahrhundertelang hat sich der Mensch gut und richtig ernährt. Natürlich nämlich. Er aß die Produkte, die das Feld, der Stall und die Jahreszeiten hergaben. Bis die Industrie im Laufe der Zeit entdeckte, dass man Essbares aufpeppen, entfetten und derart abändern kann, dass es mit dem ursprünglichen Nahrungsmittel am Ende nichts mehr zu tun hat. „Das ist doch beschissen“, sagt Sarah Wiener und fragt: „Warum lesen Sie das Kleingedruckte beim Autokauf, nicht aber die Bestandteile des Essens, das Sie zu sich nehmen?“
Kochen ist für Sarah Wiener mehr als Leidenschaft und Beruf. „Es geht hier um die Verantwortung“, erklärt die Köchin. Und um Nachhaltigkeit. Vieles, was heute im Regal stehe, hätte die Oma nicht mal als essbar erkannt. „Oder haben Sie schonmal ein Trockenhuhn in freier Natur gesehen?“ Ganz zu schweigen von den „wassereingelagerten Bällen“, im Volksmund: Tomaten. Zitronensäure, oder E 330, finde man übrigens auch im WC-Reiniger. Zwar in einer anderen Konzentration, der Stoff sei aber derselbe. „Wir haben nie so extrem falsch gegessen, wie in den letzten 40 Jahren“, meint die Köchin und spricht von der Generation der „Fremdgefütterten“. Das sind jene, die mit Geschmacksverstärkern und fettarmen Produkten aufwachsen. Und dieses Verhalten vererbe sich wiederum. „Wer nicht von kleinauf gelernt hat, richtig zu schmecken und zu genießen, der lernt es später nicht mehr“, so Wiener. Es würde mehr und mehr schwerstverarbeitete Nahrung aufgenommen. Gleichzeitig wundere sich der Mensch über Allergien, Stoffwechselprobleme und Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Sarah Wiener nicht.
Die Spitzenköchin, die fünf bio-zertifizierte Restaurants betreibt, will die Menschen weg von der Fertignahrung und hin zum Selbstgekochten bringen. Kochen als kleines politisches Statement sozusagen. „Kaufen Sie saisonal und regional. Und bringen Sie es ihren Kindern bei, Sie versenken ein Samenkorn fürs Leben.“ Ihr Tipp: Kaufen sie keine Lebensmittel, die im TV zu sehen sind. „Werbung ist ein Zeichen dafür, dass sie das Produkt sonst nicht loswerden“, „erst recht keine fettarmen Produkte“.
Kein Fleisch zu essen ist auch keine Lösung
Was sie vom Boom ums Vegane und Vegetarische, das Vermeiden tierischer Produkte, halte? Es wird nicht die Lösung sein, sagte Sarah Wiener zu diesem „dekadenten, mitteleuropäischen Problem“. Vielmehr beruhige ein Vegetarier durch den fleischlosen Alltag sein Gewissen, mehr aber auch nicht. „Kein Fleisch aber dafür Quinoa aus Nepal?“ Für Wiener zu scheinheilig. Von diesen „depperten Fleischersatzschnitzeln“ ganz zu schweigen, wie sie meint. Sie wünscht sich, dass nicht weiter Krieg geführt wird gegen die Natur. Das sei reiner Öko-Faschismus.
Kein Wunder, dass sie ihr neues Buch „Sarah Wieners Kochbuch fürs ganze Jahr“ der Nachhaltigkeit und den saisonalen Produkten gewidmet hat. Darin wird Übriggebliebenes in 90 Rezepten sinnvoll und schmackhaft verwertet, gedruckt auf – wie sollte es anders sein – recyceltem Papier. Wiener will Vorbild sein und fordert am Ende des Abends auf: „Liebe Jugend, ich hoffe auf euer Rebellentum.“ Das Publikum jubelt und klatscht. Die Köchin darf dies wohl als Zustimmung betrachten.
Mehr Infos zu Sarah Wiener und ihrer Stiftung unter
www.sarahwiener.de
www.sarah-wiener-stiftung.de