Friedrichshafen / sz - Der Rhein transportiert Unmengen von Wasser in den See. Aber nicht nur das. Begleiterscheinungen sind neben tonnenschweren und selbstständig gemachten Arbeitsplatzformen (die SZ berichtete) besonders Schwemmholz, Geröll und riesige Mengen von Schwebstoffen. Bevor sich letztere als Sedimente am Seeboden absetzen, ziehen sie innerhalb einer riesigen Fahne bis in die Friedrichshafener Bucht hinein. Für die Verlandung der Hafeneinfahrt beziehungsweise des Hafensbeckens aber ist der Rhein nicht verantwortlich, wie Sedimentologe Martin Wessels vom Institut für Seenforschung in Langenargen sagt.
Martin Wessels ist Spezialist für alles, was sich am Seeboden zeigt. Der promovierte Geologe weiß deshalb genau um die jährlichen Eintragsraten der Flüsse in den See. Und dabei geht es hauptsächlich um den Seerhein. Was derzeit so alles im See landet, kann man hochrechnen, verdeutlicht der Langenargener Sedimentologe im SZ-Gespräch: „In 15 000 Jahren ist der Bodensee verlandet“, sagt Wessels mit Blick auf eine wissenschaftliche Studie ausTübingen sowie die Zukunft des größten Trinkwasserspeichers Europas.
Vor Eintritt dieses Szenariums könnte es Vorstufen geben. Etwa die Abtrennung der Bregenzer Bucht vom See. Dass Lindau keine Insel mehr und Bregenz kein Seeanlieger mehr sein wird, und das innerhalb von nur 200 Jahren, ist nicht nur Inhalt von Witzen in der Segelszene. Man erzählt sich, man werde die legendäre Regatta „Rund Um“ eh einmal von Langenargen und nicht mehr vor Lindau starten können. Das Verlandungsszenarium war auch große Befürchtung unter Touristikern – nachdem klar wurde, was die Verlegung der Rheinmündung und der Fußacher Durchstich am 1. Mai 1900 für Konsequenzen hat: Die Maßnahme verhindert zwar große Überschwemmungen in der Rheinebene. Das schneller abfließende Wasser schwemmte aber auch viel mehr Ablagerungen in den See. Die setzten sich ufernah ab. Die Rheinbauleitung, so Wessels, beobachtete bei regelmäßigen Vermessungen „starke Verlandungstendenzen“.
Um denen wirkungsvoll entgegenzuwirken, entstanden an der Flussmündung „Leitwerke – um die mitgeführte „Feststofffracht“ weiter in den See hinaus zu tragen. Vom Pfänder aus, lassen sie sich gut sehen, genauso wie die Strömung des Rheins im Bodensee. Nach Worten von Martin Wessels habe die heutige Rheinmündung ihre endgültige Lage erreicht: „Weiter wird in den See hinein nicht mehr gebaut werden.“
Unter normalen Umständen tauchen die vom Rhein eingetragenen Stoffe in eine Tiefe von 10 bis 20 Meter ab – fließen in der sogenannten Thermokline, der Trennschicht zwischen warmem Oberflächenwasser und kaltem Tiefenwasser. Nur bei Hochwasser, wenn die Flussfracht entsprechend hoch ist, sinkt der Eintrag tiefer. Das verursacht dann am Seeboden bis zu 70 Meter tiefe Rinnen. Solche beispielsweise hat das aktuelle EU-Projekt „Tiefenschärfe – Hochauflösende Vermessung Bodensee“ höchst plastisch gemacht. Rinnensysteme, wie man sie inzwischen vom Alten Rhein kennt, erwartet Martin Wessels auch dort, wo der neue Rhein am „Rohrspitz“ in den See fließt.
Können die vom Seerhein in den Bodensee eingetragenen Schwebstoffmengen bei Hochwasserlagen weit über die Häfler Bucht hinaus selbst bis Sipplingen mit der dortigen Trinkwasserentnahme gelangen (Wessels: „Nach dem Hochwasser 2005 war dort das Wasser so trüb wie noch nie“), für die Verlandung des Häfler Hafens kann der Seerhein und dessen Schwebstofffracht nichts.
„Die Verlandung der Flachwasserzone bis zur Haldenkante ist ein natürlicher Vorgang“, sagt der Wissenschaftler aus Langenargen. Der werde allerdings verstärkt durch Ufermauern und Wellenschlag durch Schiffe. Am Ausbaggern von Einfahrt und Hafenbecken führe deshalb kein Weg vorbei.