Friedrichshafen / sz - Seit dem 7. Mai ist die Wachablösung an der Spitze des Betriebsrats von ZF vollzogen. Achim Dietrich-Stephan, zuvor Chef der Arbeitnehmervertretung am Standort Friedrichshafen, wurde an diesem Tag auch zum Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats und damit zum Nachfolger von Hans Kirchgässner gewählt. Im Interview mit den SZ-Redakteuren Martin Hennings und Gunnar M. Flotow spricht der 46-Jährige über seine ersten Monate im neuen Amt, das Arbeitsklima im Gremium – und sein Verhältnis zum Vorstand.
Herr Dietrich-Stephan, blicken wir noch einmal zurück auf die Betriebswahl. „Wir ZFler“ holte aus dem Stand sechs Mandate. Gibt es einen Trend, dass sich Teile der Belegschaft von der IG Metall abwenden und ihre Interessen lieber von unabhängigen Listen vertreten lassen? Und sehen Sie diese Entwicklung mit Sorge?
Die IG Metall hat weiterhin in Deutschland die überwiegende Mehrheit aller Betriebsratsmandate. Drei von vier gewählten Betriebsräten gehören der IG Metall an. Bei der ZF hat es keine Überraschungen gegeben. Wir hatten vorher 29 Mandate, jetzt sind’s 28. Diese unabhängigen Listen haben einen gewissen Neuigkeitswert. Man kann aus meiner Erfahrung keine erfolgreiche Betriebsratsarbeit machen ohne die Kraft, den Sachverstand und die Durchsetzungsfähigkeit der IG Metall. Neben meiner Rolle als Betriebsrat bin ich in der IGM-Verhandlungskommission von Baden Württemberg. Da geht es in der kommenden Tarifrunde zum Beispiel um Qualifizierung, Altersteilzeit und Einkommen. Wer nur auf die betriebliche Ebene beschränkt ist, kann die Interessen der Beschäftigten nicht effektiv und erfolgreich vertreten.
Wie läuft denn jetzt die alltägliche Zusammenarbeit im Betriebsrat mit den Kollegen von CGM und „Wir ZFler“?
Wie immer im Leben spielt nicht nur das Parteibuch eine Rolle, sondern es hängt viel von der Persönlichkeit ab, ob man gut miteinander gut klarkommt. Und das ist wichtig, damit wir gemeinsam die Anliegen der Belegschaft effektiv vertreten können. Man darf sich aber nichts vormachen. Allen 37 Betriebsratsmitgliedern wird man es nie recht machen können. Das wäre ein utopisches Ziel und ich bin Realist.
Und mit wem ist’s einfacher? Mit der CGM oder „Wir ZFler“?
Es gibt bei allen Fraktionen gute Leute, mit denen man sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten kann. Es gibt aber weiterhin Personen, die nur auf interne Konflikte aus sind. Dafür wurden wir aber nicht gewählt und ich habe nicht vor, mich von der Sacharbeit ablenken zu lassen. Mein Vorgänger Hans Kirchgässner hat das mal treffend ausgedrückt: Der Betriebsratsvorsitzende darf seine Politik nicht nach der Minderheitsfraktion ausrichten. Das wäre ein falsches Demokratieverständnis. Betriebsratsgremien, die per Persönlichkeitswahl zustandekommen, tun sich mit der Zusammenarbeit leichter, wie zum Beispiel bei ZF in Passau. Das bleibt weiterhin mein Ziel.
Der Betriebsratswahlkampf lief nicht ganz sauber ab, teilweise ging es auch auf die persönliche Ebene, zum Beispiel mit anonym verfassten Flugblättern. Ist das alles ausgeräumt oder bleibt da etwas zurück?
Ich hatte den Eindruck, dass bei manchen Kandidaten die eigenen Interessen und nicht die Interessen der Beschäftigten im Vordergrund standen. Es gab auch mehrere Versuche, die Betriebsratswahl zu stören. Wir haben uns nicht auf diese Ebene runterziehen lassen. Wir haben unsere Ziele und unsere Erfolge aktiv dargestellt und einen sehr fairen Wahlkampf geführt. Diese Haltung hat uns viel Zuspruch und Anerkennung aus der Belegschaft gebracht. Unser neues Betriebsratsgremium besteht aus vielen guten und engagierten Leuten und wir sind für die nächsten vier Jahre absolut handlungsfähig. Zum Glück. Die aktuellen Herausforderungen wären mit anderen Mehrheitsverhältnissen nicht zu bewältigen gewesen.
Können Sie beschreiben, was sich für Sie persönlich verändert hat, seit Sie im Mai den Posten des Gesamtbetriebsratschefs von Hans Kirchgässner übernommen haben?
Ich konnte mich auf die Aufgabe zum Glück gut vorbereiten. Seit 1994 bin ich Betriebsratsmitglied und seit einigen Jahren Betriebsratsvorsitzender am Standort Friedrichshafen. Trotzdem ist die neue Aufgabe herausfordernd. Die Zuständigkeit hat sich schlagartig erweitert. Es gilt jetzt die 40 000 Beschäftigten in Deutschland gut zu vertreten und gleichzeitig die Basis am Bodensee nicht zu vernachlässigen. Ich hoffe, ich kann beides gut miteinander verbinden, zum Beispiel mit der Formel: Ist der ZF-Konzern mit seinen vielen Standorten auf der Erfolgsspur, profitiert davon auch Friedrichshafen. Mit der neuen Aufgabe bin ich ja zum Glück nicht allein. Der Gesamtbetriebsrat besteht aus 35 erfahrenen Betriebsratsvorsitzenden und Betriebsräten aus allen ZF-Standorten und wird von Enzo Savarino (IG Metall) sehr gut unterstützt.
Haben Sie sich für Ihre Arbeit als Gesamtbetriebsratsvorsitzender bestimmte Ziele gesetzt?
Im Kern will ich das fortführen, was Hans Kirchgässner und der Gesamtbetriebsrat aufgebaut haben. ZF ist ein guter Arbeitgeber, aber natürlich müssen wir in bestimmten Bereichen besser werden. Ich sage: Wir müssen der attraktivste Arbeitgeber sein – und zwar nicht nur für die Bewerber, sondern auch für die, die schon einen Vertrag bei ZF haben. Wichtige Punkte dabei sind zum Beispiel: Altersgerechtes Arbeiten, psychische Belastungen reduzieren, Betriebsklima verbessern, Mitarbeiterführung, Arbeitszeiten oder Qualifizierungsmaßnahmen. Ich möchte gerne in all diesen Bereichen zeitgemäße Regelungen und Arbeitsformen treffen.
Wie empfänglich ist denn Arbeitsdirektor Jürgen Holeksa für Ihre Anliegen?
Wir sind uns darin einig, dass die ZF nicht nur bei den Produkten, sondern auch bei den Arbeitsbedingungen auf Ballhöhe bleiben muss. Ich erlebe ihn als sehr aufgeschlossen und fortschrittlich. Als Personalvorstand hat er eine wichtige Rolle und kann Verbesserungen für die Beschäftigten durchsetzen, und dies ist dann auch im Sinne und Wohle der ZF.
Wie ist denn generell Ihr Verhältnis zum Vorstand?
Die Herren müssen sich erst mal an mich und meine Arbeitsweise gewöhnen. Ich werde weiterhin die Interessen der Belegschaft und nicht die Rendite in den Vordergrund stellen. Die unterschiedlichen Rollen bringen mit sich, dass wir nicht die besten Freunde werden. Ich bin mir sicher, dass wir weiterhin auf Augenhöhe, professionell und lösungsorientiert handeln.
Das große Thema bei ZF ist derzeit die geplante Übernahme von TRW. Wie steht der Betriebsrat dazu?
ZF ist aktuell im Markt gut aufgestellt und wächst zweistellig. Ein akutes Problem mit unserer strategischen Ausrichtung haben wir nicht. Der Vorstand handelt richtig, wenn er über die nächsten fünf Jahre hinaus denkt. Es ist uns allen klar, dass wir uns den Bereich der Elektronik ausbauen müssen. Für den Gesamtbetriebsrat hat sich ein Bild ergeben, dass zusammen mit TRW ein großer Schritt in diese Richtung möglich wäre. Ein Zusammenschluss bietet beiden Unternehmen erhebliche Potenziale. Wir sind aber selbstbewusst genug, dass wir auch aus eigener Kraft sehr innovativ bleiben werden. Immerhin arbeiten allein in Friedrichshafen derzeit 2800 Entwickler.
ZF will vor allem im Ausland wachsen. Sollte man deshalb auch weltweit vor Ort ausbilden, um eine qualitativ gute Produktion zu gewährleisten?
Qualifizierte Fachkräfte sind nach wie vor die Basis für den Erfolg der deutschen Standorte. Eine dreieinhalbjährige Ausbildung hat schon was – nicht nur weil man dabei fachlich reift, sondern eine Bindung zum Unternehmen aufbaut, ein Qualitätsbewusstsein entwickelt und auch ein ganzheitliches Denken. Die Ausbildung von jungen Menschen im Ausland ist aus meiner Sicht wünschenswert, allerdings muss man sehen, dass es vor Ort oft am Umfeld hakt. Gibt es Berufsschulen? Gibt es so etwas wie die Industrie- und Handelskammer? Gibt es Prüfungsausschüsse? Oder gibt es überhaupt geeignete Ausbilder? Unser Ausbildungssystem kann man nicht einfach ins Ausland exportieren.
Wenn ZF im Ausland ein Produktionswerk aufbauen will, gibt es aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten: Entweder man hat dort vorher schon Leute und nimmt sich die Zeit, um sie auszubilden. Oder man macht ein Produkt hier in Deutschland serienreif und geht damit erst nach ein paar Jahren ins Ausland. Sonst sehe ich die Gefahr, dass ZF die hohen Qualitätsstandards für die Produktion und die Produkte nicht halten kann. Wachstum im Ausland darf nicht zu Lasten der Ausbildung oder Arbeitsplätzen in Deutschland gehen. Das sieht der Vorstand übrigens genauso.
Immer wieder hört man, dass der Platz für Büros bei ZF in Friedrichshafen sehr knapp ist. Sind die Platzprobleme gelöst, wenn 2015 das neue Forum eröffnet wird?
Der Neubau mit über 500 neuen Büroarbeitsplätzen wird eine große Entlastung bringen. So wie’s aussieht, wird die Zahl der Angestellten in Friedrichshafen weiter wachsen. Ohne weitere Neubauten wird es auch zukünftig zu Engpässen kommen.
Wird der Betriebsrat auch ins Forum ziehen?
Spannende Frage. Aus reinem Prestige muss ich da nicht rein. Wir haben eine Zusage für ein Gesamtbetriebsratsbüro im ZF Forum. Die Konzernpersonalabteilung wird auch dort einziehen und es wäre aus meiner Sicht effektiv, wenn wir im gleichen Gebäude arbeiten. Die Nähe zur Belegschaft ist mir persönlich ebenfalls sehr wichtig. Die Büroplanungen sind nicht abgeschlossen und ich habe mich noch nicht entschieden, obwohl die Aussicht über Friedrichshafen und auf den See sensationell ist.