Friedrichshafen / sz - Widerstand gegen Asylunterkünfte in Tettnang, Billafingen und Oberteuringen, rechte Propaganda in den sozialen Netzwerken am See, fremdenfeindliche Schmierereien – die Zeit, in der Flüchtlinge im Bodenseekreis ausschließlich mit offenen Armen empfangen wurden ist vorbei. Die Entwicklung droht die ebenso steigende Hilfsbereitschaft zu übertönen.
Dienstagabend in Tettnang. Hier soll eine neue Asylunterkunft entstehen. Platz für 120 Menschen, die vor Krieg und Krisen weltweit in Deutschland Schutz suchen. Doch ganze Stuhlreihen blicken an diesem Abend mit versteinerten Mienen drein, als auf dem Podium die Pläne vorgestellt werden. Es gibt heftige Kritik – ganz so wie nur wenige Tage zuvor in Billafingen bei Überlingen, wo die Kommune ähnliches vor hat: "Kann ich nachts noch rausgehen?" – "Die Jugend hat Angst", hatten Gegner von Asylunterkünften auf ihre Plakate geschrieben. Ortswechel nach Oberteuringen: Hier haben am Donnerstag besorgte Anwohner die Gemeinderatssitzung durch Zwischenrufe gestört. Der Tenor ist meist der selbe: Wir wollen hier keine Flüchtlinge haben, zumindest nicht so nah.
"Es ist in der Tat so, dass in den vergangenen ein bis zwei Monaten die Ressentiments gegen Flüchtlinge gewachsen sind", bestätigt Uwe Hermanns, Flüchtlingsdezernent im Bodenseekreis, der derzeit immer öfter zum Klinken putzen in die Gemeinden gehen muss – wann immer eine neue Flüchtlingsunterkunft angekündigt wird. Zwar gebe es in der Bevölkerung weiterhin einen "sehr großen Rückhalt", wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen gehe. Dennoch ist Hermanns besorgt: "Es gibt eine Minderheit, die sich aggressiv einbringt", sagt er.
Volksverhetzende Debatten
Hermanns Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen, die auch die Polizei in den vergangenen Monaten gemacht hat. Die öffentliche Debatte über Flüchtlinge im Bodenseekreis habe zunehmend eine problematische Richtung eingeschlagen, sagt auch Uwe Stürmer, Leiter der Kriminalpolizei Friedrichshafen.
Äußerungen von Flüchtlings-Gegnern hätten immer öfter "volksverhetzenden Charakter", die Zahl von Verfahren nach dem Volksverhetzungs-Paragraphen 130 habe definitiv zugenommen – von einem Fall im Jahr 2012 auf 20 im laufenden Jahr. "Gottseidank haben wir bisher aber kaum andere Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund", so Stürmer weiter. Noch scheint sich die Ablehnung von Hilfesuchenden aus aller Welt im Kreis auf Wortgefechte und Schmierereien zu beschränken.
Die mahnenden Worte von Stürmer und Hermanns dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Während der Widerstand gegen Flüchtlinge wächst, wächst zugleich auch die Hilfsbereitschaft in der Region. Helferkreise für Flüchtlinge schießen von Überlingen über Friedrichshafen bis nach Kressbronn geradezu aus dem Boden. Da wird Deutschunterricht gegeben, bei der Wohnungsvermittlung geholfen oder ein Kennenlernabend für die Neuankömmlinge veranstaltet. Das Problem: Wer hilft, macht das gern im Stillen. Die Ablehnung bricht sich dagegen immer offener Ihre Bahnen – in der realen Welt und in der Anonymität des Internets in der Region. "Wenn man hilft und dann auch noch laut darüber redet, wird man doch schnell schief angeschaut", sagt eine ehrenamtliche Helferin am Freitag auf SZ-Nachfrage. Asylgegner und rechte Aktivisten scheinen von vornehmer Zurückhaltung aber weniger zu halten.
Warum sich die Angst vor und Ablehnung von Flüchtlingen gerade jetzt verstärkt zeigt – wo doch schon seit rund zwei Jahren vermehrt Flüchtlinge in die Region kommen – dürfte mit der Frage der Unterbringung zusammenhängen. Reichten die vorhandenen Unterkünfte im Kreis bisher aus, müssen wegen steigender Flüchtlingszahlen immer neue Häuser gebaut und gemietet werden – immer öfter auch in kleineren Kreisgemeinden. Solange Hilfe für Flüchtlinge abstrakt bleibt, hätte kaum einer ein Problem damit, sagt dazu Uwe Hermanns. "Doch die Vorbehalte steigen dann, wenn es direkt in der Nachbarschaft passieren soll." Da künftig 150 statt 100 Flüchtlinge im Monat hier Schutz suchen werden, dürfte er noch so manche Debatte aushalten müssen.