Friedrichshafen / sz - Am 9. Juli 1914 schraubte der 23-jährige Rumpler-Werkspilot Guido Linnekogel den absoluten Höhenweltrekord für Flugzeuge auf 6570 Meter. Er übertraf damit deutlich die bisherige Bestmarke des Franzosen Georges Legagneux, die bei 6129 Meter gelegen hatte. Jürgen Bleibler, Leiter der Technikabteilung des Zeppelin Museums erinnert an den Luftfahrtpionier.
Linnekogel flog einen Rumpler-Eindecker 4C mit einem Daimler-Motor von 100 PS Leistung, dessen Technik für Höhenflüge optimiert worden war, 85 Liter Benzin sollten für eine Flugzeit von ungefähr zwei Stunden ausreichen. Die Höhenausrüstung des Piloten bestand aus einem primitiven Sauerstoffgerät mit Atemmaske.
Linnekogel startete auf dem Flugplatz Johannisthal bei Berlin und arbeitete sich über Potsdam und Döberitz langsam in die Höhe. Die untere Wolkengrenze lag an dem Tag bei 1600 Meter, die Linnekogel nach zehn Minuten erreichte. Danach hatte der Pilot keinerlei Bodensicht mehr. Neun Minuten später waren 2000 Meter erreicht, nach 4500 Metern war Linnekogel an der oberen Wolkengrenze und kletterte in strahlendem Sonnenschein weiter. Ein Leistungsabfall seines Motors machte dem Höhenflieger Sorgen, trotzdem konnte er nach über zwei Stunden mit 6120 Metern die Rekordhöhe des Franzosen Georges Legagneux erreichen. Mit einer größten Flughöhe von 6570 Metern hatte Linnekogel einen neuen Weltrekord aufgestellt. Das Benzin war bis zum letzten Tropfen verbraucht und Linnekogel kehrte im Gleitflug zur Erde zurück. Da er es nicht zu seinem Startplatz in Johannisthal schaffte, landete er auf dem Tempelhofer Feld und flog nach dem Auftanken seines Flugzeugs zurück nach Johannisthal. Dort wurde er von Edmund Rumpler, dem Direktor der Rumpler-Werke, als neuer Weltrekordinhaber begeistert begrüßt.
Jagd nach Preisen und Rekorden
In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg waren Geschwindigkeits -, Langstrecken - und Höhenrekorde oder Siege bei den unzähligen Flugwettbewerben mit tausenden von Schaulustigen gut für Schlagzeilen und die beste Werbung für die Flugzeugbauer. Mit immer schneller gesteigerten Bestleistungen ihrer Produkte buhlten die Flugzeugwerke um die Aufträge der Militärs. Die Rekordjagd diente aber nicht nur den wirtschaftlichen Interessen der Luftfahrtindustrie, sondern war auch stark nationalistisch aufgeladen. Dass Linnekogel den Rekord aus dem Ausland nach Deutschland geholt hatte, wurde mit einem hohen Geldpreis aus den Mitteln der Nationalflugspende honoriert. Diese von staatlicher Seite 1912 ins Leben gerufene Sammelaktion diente dazu, die Entwicklung in der deutschen Flugzeugindustrie voranzutreiben und einer französischen Dominanz in der Luftrüstung entgegenzuwirken.
Flugwettbewerbe dienten aber auch der experimentellen Annäherung an mögliche militärische Einsatzgebiete von Flugzeugen. So hatte Linnekogel am 12. November 1913 für die Rumpler-Flugzeugwerke an einem Bombenabwurfwettbewerb teilgenommen, bei dem jeder Teilnehmer innerhalb von einer Stunde aus einer Flughöhe von 1000 Metern fünf Bomben auf ein Zielfeld von 80 x 80 Meter abwerfen sollte.
Rekord hielt nur fünf Tage
Linnekogels Arbeitgeber, die 1908 gegründete Rumpler Flugzeugwerke GmbH in Johannisthal bei Berlin, war die erste deutsche Flugzeugfabrik und der Wegbereiter der industriellen Fertigung von Flugzeugen. Werkspiloten wie Guido Linnekogel, die für ihre Firmen auf die lebensgefährliche Jagd nach Preisen und Rekorden gingen, waren Idole ihrer Zeit. Linnekogel, der am 20. Februar 1891 in Spandau geboren wurde, machte im Dezember 1911 seinen ersten Schulflug, bestand im Januar 1913 die Pilotenprüfung und wurde sofort Werkspilot bei Rumpler. Dort entwickelte er sich zu einem ausgesprochenen Spezialisten für Höhenflüge. Durch gezieltes Training steigerte er seine Leistungen nach und nach.
So stellte er bei dem Flugwettbewerb "Rund um München" am 14. und 15. Juni 1913 mit 2750 Meter einen deutschen Höhenrekord mit einem Passagier auf, bei der Gelsenkirchener Flugwoche vom 27. Juli bis zum 3. August 1913 schraubte er den deutschen Höhenrekord im Alleinflug auf 4220 Meter. Im Frühjahr 1914 brachte er den Höhenweltrekord mit einem Passagier nach Deutschland.
So lag der Angriff auf den absoluten Höhenweltrekord für Linnekogel und die Rumpler-Werke sozusagen in der Luft. Beim ersten Versuch am 31. März 1914 hatte Linnekogel bereits eine Flughöhe von rund 6300 Meter erreicht. Allerdings konnte diese Leistung von dem Weltluftsportverband Fédération Aéronautique Internationale (FAI), nicht anerkannt werden, weil die Messinstrumente nicht einwandfrei aufgezeichnet hatten. Bei einem zweiten Versuch versagte der Motor in einer Höhe von 6000 Metern. Am 9. Juli 1914 schließlich gelang der Flug – doch der Rekord hatte nicht lange Bestand, was die Rekordgier und die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts in diesen Jahren deutlich macht: nur fünf Tage nach Linnekogels Flug verbesserte Heinrich Oelerich auf einem Doppeldecker der Deutschen Flugzeugwerke GmbH (DFW) den Höhenweltrekord über Leipzig auf sagenhafte 8150 Meter.
Guido Linnekogel überlebte als Pilot den Ersten Weltkrieg und kam 1924 bei einem rätselhaften Flugzeugabsturz ums Leben, als er nach sechsjähriger Pause erstmals wieder im Cockpit eines Flugzeugs saß.