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Raus aus der Sammelunterkunft hinein ins Elend

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Friedrichshafen / sz - Familie Demirov geht es nicht gut. Womöglich noch schlechter als vor ihrer Flucht von Mazedonien nach Deutschland vor etwa einem Jahr. Nachdem ihrer 20-jährigen Tochter die Abschiebung drohte (wir berichteten am 24. April) sind die Eltern mit ihren vier Kindern am 10. Mai wieder freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt. Die türkischstämmige Familie konnte zumindest wieder in ihr Haus, das eher einer Behausung gleicht, wie Fotos zeigen.

"Sie müssen offenbar dafür büßen, dass sie nach Deutschland gegangen sind," sagt Annemarie Fricker vom Helferkreis St. Columban. Mit den Worten "überall Schikanen" habe ihr Mümin Demirov vor wenigen Tagen die Lage nach ihrer Rückkehr geschildert. Ja, man dürfe das in der Zeitung schreiben, denn "schlimmer kann es nicht werden". Demirov spricht von Anarchie, Korruption und Schikanen, denen er und seine Familie ausgesetzt seien.

Er bekomme keine Arbeit und werde laufend vor die Polizei zitiert, berichtet der Mazedonier in einem Telefonat. Als er seine Kinder in der Schule anmelden wollte, habe der Rektor pro Kind 2000 Euro verlangt. Erst vor wenigen Tagen habe ihm die Polizei 200 Euro abgeknöpft, weil er mit einem Mofa gefahren sei, an dem das Licht nicht funktionierte. "Jeden Tag nur Schikanen", klagte der Familienvater. Nicht nur er sei von der Verfolgung betroffen. Während ihrer knapp einjährigen Abwesenheit seien ein weiteres Dutzend Familien aus dem Dorf geflohen.

Annemarie Fricker hat die Familie vor ihrer Abreise in der Sammelunterkunft in der Paulinenstraße betreut. Mümin Demirov hatte in der Moschee zeitweise einen Ein-Euro-Job, der siebenjährige Meldijam ging in den Kindergarten St. Columban, die 14 und 16 Jahre alten Mädchen in die Schule. Die 20-jährige Tochter versuchte Deutsch zu lernen. Als Mazedonier hatten die Demirovs praktisch keine Chance, dass ihrem Asylantrag stattgegeben würde. Er sei allein schon deshalb unbegründet, weil er keinerlei Aussicht auf Erfolg hat, urteilte das Gericht. So kam kurz vor Weihnachten 2014 die Androhnung der Abschiebung – nicht für die ganze Familie, sondern nur für die 20-Jährige Tochter.

1400 Euro Spenden

Eine Klage gegen dieses Vorgehen wurde im Februar 2015 vom Verwaltungsgericht Sigmaringen abgelehnt. Die Familie hatte schlaflos Nächte, berichtet Fricker, denn sie mussen jeden Tag mit der Abholung ihrer Tochter rechnen. Alleine wollten sie die Eltern auf keinen Fall nach Mazedonien gehen lassen. So entschlossen sie sich, freiwillig auszureisen. Wohl wissend, dass sie und die Kinder keine gute Zukunft in dem Land haben. Auch die Türkei will sie nicht einreisen lassen mit der Begründung, dass es dort schon genügend Flüchtlinge aus Syrien gebe. Um der Familie den Start in Mazedonien zu erleichtern, sammelte Annemarie Fricker Spenden. Für rund 2000 Euro wollte Demirov ein Zimmer für die Kinder an das Haus anbauen. Bisher lebte die sechsköpfige Familie in einem Raum – ohne Strom und Wasser. Zirka 1400 Euro hat Annemarie Fricker nach der Schwäbischen Zeitung bekommen. Die Frauenrunde St. Columban spendete den Erlös aus dem Verkauf von Osterkerzen, andere Spenden kamen von privat. Ob und wie Demirov seinen Plan umsetzen kann, ob er zumindest saisonal Arbeit bei der Tabakernte findet, die Kinder trotz aller Hindernisse eine Schule besuchen können, ist unklar.

Für die Sigmaringer Richter war die Sache juristisch klar: In der Begründung des Urteils wird darauf verwiesen, dass Rückkehrer nach Mazedonien keine politische Verfolgung zu befürchten hätten, ihnen kein ernsthafter Schaden drohe und sie sogar staatliche Rückkehrhilfen erwarten können.


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