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Graue Wölfe: Türken kritisieren ZDF-Bericht

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Friedrichshafen / sz - Laut einem Bericht des ZDF-Magazins "Frontal 21" soll im "Türkischen Arbeitnehmerverein" (TIC) in Friedrichshafen eine rechtsextreme Variante des türkischen Nationalismus gelebt werden. Zweifel an dieser Darstellung des ältesten Migrantenvereins in Baden-Württemberg sind angebracht. Doch was passiert im TIC neben Feiern zum Opferfest, Kursen im Fotografieren und kultureller Begegnung wirklich?

Die Bilder flimmerten über die Fernsehschirme in ganz Deutschland: Friedrichshafen, Graf-Zeppelin-Haus, 21. März 2015. In einer Theateraufführung gedenken Mitglieder des TIC dem "Krieg von Tschanakkale", einer für Türken bedeutsamen Schlacht im ersten Weltkrieg mit bis zu 400000 Opfern. Die Fernsehbilder zeigen TIC-Mitglieder beim "Stellungskrieg" auf der Theaterbühne oder mit türkischen Flaggen.

Gewaltbereit, rechtsnational

Im O-Ton sagt ein Sprecher: "Im Inneren geht es um radikalen Nationalismus und um das Türkentum – wie hier mit der Verherrlichung des ersten Weltkriegs". Kurz darauf ist Engin Cakmak, TIC-Vorsitzender, im Interview zu sehen. Er spricht zwei Sätze über die sogenannten "Grauen Wölfe", eine vom Verfassungsschutz als extremistisch und radikal eingestufte, mitunter gewaltbereite Bewegung rechtsnationaler Türken. Die Kernthese des Beitrags im renommierten ZDF-Magazin "Frontal 21", ausgestrahlt am vergangenen Dienstag: Die Grauen Wölfe versuchen in Deutschland im Verborgenen eine Art türkisches Großreich wieder herzustellen. Der Häfler TIC sei eine Tarnorganisation der Bewegung.

Soweit, so plakativ. Recherchen der Schwäbischen Zeitung lassen die Behauptungen nur als dürftig belegt erscheinen. Erste Zweifel kommen bei einem Treffen mit TIC-Chef Engin Cakmak am Dienstag im Vereinsheim an der Löwentalerstraße auf. "Mit diesen Fanatikern haben wir nichts am Hut", räumt Cakmak dort widerspruchslos ein, als man ihn zu vorhandenen Beziehungen zu radikalen "Grauen Wölfen" fragt. Was die Kriegsshow im GZH sollte? Gedenken an den Krieg – samt Hoffnung, dass "so etwas nie wieder passiert", sagt Cakmak.

TIC-Sprecher Ümit Gökhan versucht derweil zu erklären, was es mit dem Symbol des Grauen Wolfs wirklich auf sich habe: Ja, für ihn und viele Türken sei der Wolf tatsächlich ein wichtiges nationales Symbol. Das Problem laut Gökhan: "Es gibt überall in Deutschland und auf der Welt Menschen, die sich hinter diesem Begriff verstecken – und die schlimme Dinge tun." Was die TIC-Vertreter nicht ansprechen: 2009, vor sechs Jahren, gab es im Rahmen des internationalen Stadtfests tatsächlich eine Auseinandersetzung zwischen türkischen Jugendlichen und Kurden, bei denen das Symbol der "Grauen Wölfe" verwendet wurde. Seither war es um die "Grauen Wölfe" still.

Polizei: Verein ist unauffällig

Ein Anruf bei der Polizeidirektion in Konstanz, die auch eine eigene Abteilung zum Staatsschutz enthält, bestätigt das. Der Sprecher über den Häfler Verein: "Ermittlungen mit staatsschutzrelevanten Hintergrund sind hier bislang nicht geführt worden. Der Verein ist nach außen auch nicht mit verfassungsfeindlichen Thesen aufgetreten." Korrekt sei zwar, das der Verfassungsschutz den Häfler Verein auf der Beobachtungsliste habe. Grund dafür ist allerdings kein konkreter Verdacht, sondern offenbar die Tatsache, dass der TIC Kontakte zur Organisation der "der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland" (ADÜTDF) hält. Veranstaltungen der Häfler sind auf einer Homepage des ADÜTDF gelistet. Und laut des Sprechers der Polizei wird die ADÜTDF von den Verfassungsschützern "als Sammelbecken extrem nationalistischer Personen mit türkischem Migrationshintergrund angesehen."

Diese Analyse wurde vom ZDF nun offenbar ohne jede Einschränkung auf den Häfler Verein übertragen. Allerdings hält der TIC auch Kontakt zu Dutzenden weiteren türkischen Vereinen und Organisationen.

Weitere Aktivitäten des TIC in der Stadt sprechen auch eine andere Sprache: Der Verein gilt unter anderem als ein Gründervater des angesprochenen internationalen Stadtfests mit Vertretern zahlreicher Kulturen. Die Mitglieder, rund 170 Familien, haben im März unter anderem eine Sucht-Vortragsreihe begonnen – samt Gastredner von der Polizei. Gemeinsam mit Landratsamt und Rotem Kreuz wurde auch der mehrsprachige Wegweiser "Hilfen im Alter" vom TIC ins Türkische übersetzt. Es gibt viele weitere, soziale Angebote des Vereins bis zu einem Tag der offenen Tür, den der TIC vom 4. bis 7. Juni anbieten will.

Die Stadt Friedrichshafen will daher auch die öffentlichen Fördermittel für den Verein beibehalten, selbst wenn im Beitrag des ZDF anderes gefordert wurde. Oberbürgermeister Andreas Brand teilte der Schwäbischen Zeitung am Freitag mit: "Mit der Förderung des Vereins beabsichtigen Stadtverwaltung und Gemeinderat, die Kontakte zum Türkischen Arbeitsnehmerverein aufrecht zu erhalten und im kontinuierlichen Gespräch zu bleiben."

Da die Förderung an konkrete Projekte gebunden sei, bekomme die Stadt so Einblick in das Vereinsleben und die dort angestellten Planungen. "Bislang war man der Meinung, dass dieses Vorgehen hilfreicher sei, als ein Abbruch der Beziehungen und der Informationen" , so der Oberbürgermeister weiter.


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