Friedrichshafen / sz - Heute vor 70 Jahren war der Zweite Weltkrieg zu Ende. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel unterzeichnete am 8./9. Mai 1945 in Berlin die tags zuvor in Reims aufgesetzte Kapitulationserklärung und übergab damit den Siegermächten die Oberhoheit über Deutschland. In Friedrichshafen hatten die Franzosen schon am 29. April das Heft in die Hand genommen. Die Stimmung in der Bevölkerung schwankte zwischen Erleichterung, dass der Krieg aus war und Angst vor Vergeltung.
Wilfriede Saur war zwölf Jahre, Otto Saur 15 Jahre alt. Beim Einmarsch der Franzosen am 29. April waren sie in Friedrichshafen, Otto Saur bei seinen Eltern in Jettenhausen, Wilfriede Saur wohnte in der Sandöschstraße und harrte im Bunker bei der Bahnüberführung am Schlossgarten aus. Weil die Stadt verteidigt werden sollte, brachte man Frauen und Kinder in Sicherheit.
"Wir waren in gespannter Erwartung, was geschieht, wenn die Franzosen kommen", sagt Otto Saur. Am Abend des 29. April war es dann so weit. Man habe überall das Dröhnen der Panzermotoren gehört. Man habe vor allem Marokkaner gesehen, die mit dem Gewehr im Anschlag Häuser durchsuchten. Frauen versteckten sich auf der Bühne.
Die meisten Frauen und Kinder waren evakuiert und kamen erst nach und nach wieder in die zerbombte Stadt zurück. Auch sie sei nach dem großen Angriff im April 1944 nach Balingen geschickt worden, aber da habe sie so sehr Heimweh bekommen, dass man sie wieder nach Friedrichshafen brachte, erzählt Wilfriede Saur. So habe sie alle Luftangriffe auf die Stadt miterlebt. An einen, den sie unten im Turm der Canisiuskirche miterlebte hat sie besonders in Erinnerung. Als eine Luftmine einschlug, habe der ganze Turm geschwankt. "Uns ist zum Glück nichts passiert", sagt Saur.
Franzosen feudig begrüßt
Vom Einmarsch der Franzosen gibt es einen Bericht des damaligen Pfarrers von Jettenhausen, Max Weser in der Pfarrchronik des Jahres 1945. Besser könnte er die Lage nicht schildern, sagt Saur und zitiert: "Seit Tagen wurde immer wieder die Meldung durchgegeben: Der Feind kommt. Am Abend des 22. April war die Erregung groß. Es hieß, der Feind steht schon in Meersburg, aber die Meldung war falsch. Der Einmarsch verzögerte sich und erfolgte erst am 29. April. Mittags wurde herumgesagt, dass der Feind Markdorf besetzt habe. Von dort her war starkes Artilleriefeuer zu hören. Unterdessen wurde in Friedrichshafen ununterbrochen beraten, ob die Stadt verteidigt werden soll oder nicht. Bald entschied man sich dafür (Kreisleiter), bald dagegen (Bürgermeister). Abends fünf Uhr kam ganz unerwartet der Bescheid, dass die Stadt doch verteidigt werden müsse, aber bald wurde, nachdem der Kreisleiter davongegangen war, wieder gemeldet, dass die Volkssturm aufgelöst und entlassen und der Bürgermeister mit der weißen Fahne dem Feind entgegengefahren sei. Gegen sechs Uhr hörte man von Seemoos her Panzerwagen anrollen, und bald kam die Mitteilung, dass die Panzer in Friedrichshafen eingefahren seien und auf dem Schulplatz stehen. Abends acht Uhr, am Schluss der Abendmesse, hörte man das Anfahren von Panzer, die in langer Reihe von Unterraderach kamen, weiter Richtung Friedrichshafen. Von den Leuten, die den Weg säumten, besonders von den Frauen, freudig begrüßt. Nach einer kurzen Pause kam eine zweite Kolonne...
Es gab starke Einquartierungen, das Verhalten des Feindes war im Allgemeinen geordnet und anständig. Am anderen Morgen wurden zwar Jagd gemacht auf Hühner und Hasen und einige wurden weggenommen, aber sonst gab es keine Plünderungen. Es kam zu einigen Bedrohungen und Hausdurchsuchungen nach Waffen.
Es wurde viel gestohlen
Am Montag 30. April, mittags 12.30 Uhr rückte die Truppe wieder ab nach Lindau. Es folgte an diesem Tag der Befehl des französischen Stadtkommandanten mit Ausgehbeschränkung auf früh sechs bis abends acht Uhr. Am Dienstag, 1. Mai herrschte etwas Unruhe und Unsicherheit durch ausländische Arbeiter, die mit Gewehren ausgerüstet waren und bei den Bauern plünderten. Auch in der Folgezeit wurde von Franzosen und Russen (ehemalige Zwangsarbeiter) viel gestohlen..." Auch der Pfarrer musste seine schöne Taschenuhr einem Marokkaner geben, der ihn bedrohte. Ein Erlebnis aus jenen Tagen hat Pfarrer Weser besonders mitgenommen: "An einem stillen Nachmittag schreckte ein wiederholtes jämmerliches Geschrei um Hilfe auf. Das Rufen kam aus dem Haus des Johann Eberle. Dort waren drei Russen eingedrungen, die, wie sie nachher sagten, wegen eines Radios mit Eberle stritten und ihn und seine Schwester Auguste mit Schlägen und der Waffe bedrohten. Kaum war ich zur Haustreppe gekommen, als ein Russe sich auf mich stürzte, mich rücklings zu Boden schlug, sich auf mich kniete und seine Pistole auf meine Brust richtete. Ich glaube aber, dass die Pistole nicht geladen war. Ein anderer Russe, der mich vielleicht kannte, hat den Würgenden weggezogen und mir den Anlass zum Streit zu erklären versucht. Auf dessen Betreiben sind alle drei alsbald weggegangen."
Vergewaltigungen durch Soldaten
Pfarrer Weser berichtet auch von der Vergewaltigung zweier Frauen durch Marokkaner. Weitere Versuche dazu seien vereitelt worden. "All das wird erwähnt um zu zeigen, dass diese Tage nicht harmlos und ungefährlich waren", heißt es am Schluss des Berichtes aus der Chronik.