Friedrichshafen / sig - "Wir sorgen für Beschäftigung, Wohlstand und Perspektiven für die junge Generation", rief der 1. Bevollmächtigte der IG Metall, Enzo Savarino, bei der gestrigen Maikundgebung im DGB-Gewerkschaftshaus den Teilnehmern zu. Dorthin waren die Kundgebungsteilnehmer kurzfristig wegen des starken Regens geflüchtet.
Unter dem Motto " Die Arbeit der Zukunft gestalten wir" prangerte Monika Lersmacher von der IG Metall Bezirksleitung Baden-Württemberg die paradoxe Situation an, dass die Armutsgefährdung im Land steigt, obwohl die Zahl der Arbeitslosen sinkt und in Deutschland nie zuvor so viele Menschen erwerbstätig waren wie heute. "Schade, dass die Schlauchboote ausgegangen sind", bewies die aus Stuttgart angereiste Gewerkschafterin Humor. Ihr hatte man in Friedrichshafen einen weltweit einmaligen Kundgebungsplatz mit einzigartigem Ausblick versprochen. Damit war es gestern nichts. Lediglich die Verdi-Frauen und die des Frauenbunds "Courage" hielten – wie ein Teil der türkischen Gewerkschaftler mit viel Tee – im Regen durch. Der Rest strömte ins Trockene – erstmals in der Geschichte der Maikundgebungen in Friedrichshafen, wie sich Enzo Savarino erinnerte.
Der 1. Mai stehe für die Würde des Menschen, in der Arbeit und darüber hinaus, sagte Monika Lersmacher und kritisierte die Flüchtlingspolitik des "Friedensnobelpreisträgers Europäische Union". Wer angesichts der ankommenden Menschen von einer allgemeinen Überforderung der deutschen Gesellschaft spreche, der fische am rechten Rand nach Zustimmung, schüre Vorurteile, Ressentiments und Hass.
Die Gewerkschafterin rief dazu auf, der Ausbreitung braunen Gedankenguts nicht tatenlos zuzusehen. "Extremismus und Faschismus sind keine Meinungen. Sie sind ein Verbrechen." IG Metall und DGB fordern deshalb ein Verbot aller neofaschistischen Organisationen.
"Mietmäuler"
Der Mindestlohn sei ein Erfolg der hartnäckigen gewerkschaftlichen Bemühungen, zumindest eine "untere Haltelinie" einzuziehen, wo die Verrohung der Sitten am Arbeitsmarkt besonders eklatant waren, betonte sie. Nun sei das Geschrei groß, dass ein "gefräßiges Bürokratiemonster" unser Land zu verschlingen drohe. Tatsächlich müsse man sich ernsthaft Sorgen um die Wirtschaft machen, "wenn die Unternehmen es nicht einmal schaffen, die Arbeitszeiten zu dokumentieren".
"Mietmäuler" aus der Wissenschaft teilten nicht nur kräftig gegen den Mindestlohn aus, sondern auch gegen die Rente mit 63. Eine abschlagfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren sei tatsächlich weder Belastung noch Geschenk, sondern hart erarbeiteter Anspruch. Das Rentenniveau befinde sich seit Beginn des Jahrtausends im freien Fall, und es werde bis 2030 von 52 auf 43 Prozent fallen. Dabei müsse schon heute ein Durchschnittsverdiener fast 30 Jahre einzahlen, um überhaupt eine Rente in Höhe der Sozialhilfe zu erhalten.
Die "Bildungsrepublik Deutschland" verglich sie mit der Baustelle Berliner Flughafen, denn: "50000 Schülerinnen und Schüler verlassen jedes Jahr die Startbahn Schule ohne Abschluss. Noch immer hängen 260000 Menschen ohne Ticket im Terminal herum, gefangen zwischen Schule und Ausbildung. 1,3 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 haben den Anschlussflieger gleich komplett verpasst und verfügen über keinen Berufsabschluss. Und wer nur einen Hauptschulabschluss vorweisen kann, der bekommt in zwei von drei Fällen noch nicht einmal eine Chance an Bord zu gehen".