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"Die Opfer werden alleingelassen"

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Friedrichshafen / sz - Karl-Heinz Jumpertz ist Außenstellerleiter des Weissen Rings im Bodenseekreis. Er arbeitet ehrenamtlich, zusammen mit einigen Mitarbeitern betreut er Kriminalitätsopfer, vornehmlich Opfer von Gewalttaten, Vergewaltigungen und Missbrauch, weniger Einbruchsopfer. Seine zentrale Botschaft: "Gebt den Opfern, den Betroffenen, mehr Rechte, mindestens soviel Rechte, wie den Tätern."

Karl-Heinz Jumpertz genießt seinen Ruhestsand. Die Arbeit für den Weißen Ring sieht er als gute Möglichkeit, der Gesellschaft etwas zurück zu geben. Seit zehn Jahren leitet Jumpertz die Außenstelle in Unteruhldingen, zuvor hat er drei Jahre in dem Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten mitgearbeitet. Seit 1976 ist der Weiße Ring im Vereinsregister eingetragen. Einer der Mitbegründer war der Fernsehjournalist und Moderator der Sendung "Aktenzeichen XY - ungelöst", Eduard Zimmermann.

Der Verein ist so etwas wie eine Bürgerinitiative, die sich mit rund 3000 ehrenamtlichen Helfern bundesweit um die Kriminalitätsopfer kümmert und präventiv tätig ist. Mit der Polizei findet eine intensive Zusammenarbeit statt.

Die drei wichtigen Tage

"Wenn die Polizei die Opfer von Gewalttaten oder Einbrüchen vor sich haben, dann weisen sie die schon von selbst auf den Weißen Ring hin und raten ihnen, Kontakt aufzunehmen", sagt Jumpertz. Viele täten das auch, aber längst nicht alle. Und genau da setzt seine Kritik ein.

Jeder Mensch lerne in der Schule, werde dort auf das Leben vorbereitet und erhalte Hinweise, sich zu behaupten. Über die Gefahren, die einem Kriminalitätsopfer drohen, informiere niemand. Als Beispieltat nennt Karl-Heinz Jumpertz Missbrauch oder Vergewaltigung. Wenn die Opfer nicht binnen drei Tagen therapeutisch betreut würden, reagiere das Gehirn mit Verdrängung auf das Problem. "Jahre später können Angstzustände und psychische Störungen auftreten und das Leben zur Hölle machen", berichtet Jumpertz aus Erfahrung mit Betroffenen und dem Austausch mit Ärzten.

Opfer von Gewalttaten, so die Klage von Karl-Heinz Jumpertz, "können sich oft gar nicht in den ersten drei Tagen therapieren lassen. Zum einen verschweigen sie aus Schamgefühlt oft die Tat, zum anderen aus Angst. Das passiert vermehrt bei Kindern." Wenn sich die Betroffenen dann an jemanden wenden und die Tat anzeigen, sei es oft zu spät. Schuld daran sei die nicht vorhandene Aufklärung.

Wenn die Menschen schon in der Schule lernen würden, dass eine Verdrängung aus Angst, Scham oder Selbstschutz später oft irreparable Schäden anrichten kann, dann würden die Opfer anders handeln. Hier sei der Staat gefragt, der den Opfern ohnehin viel zu wenig Aufmerksamkeit schenke.

Täter bekämen einen Pflichtvertiediger, therapeutische Betreuung, würden medizinisch versorgt. Die Opfer aber bleiben nach den Befragungen durch die Polizei meist alleine zurück. Der Weiße Ring setzt mit seiner Arbeit genau an dieser Stelle ein, kann aber auch nur dort helfen, wo das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen ist.

"Opfer fühlen sich bei Behörden und vor Gericht oft verloren und müssen im Schockzustand alles alleine auf eigene Kosten organisieren. So werden sie zum zweiten Mal zu Opfern gemacht", sagt Jumpertz. Die Opfer bräuchten so schnell wie möglich nach der Tat einen neutralen Betreuer, der juristisch wie therapeutisch und hinsichtlich einer Schadenswiedergutmachung helfen könne. Wer zum Weißen Ring kommt, kann sich beraten lassen, wird zu Terminen vor Gericht oder bei der Polizei begleitet, selbst finanzielle Hilfen sind möglich.

Zunächst setzen die Hilfen auf menschlicher Ebene an. "Viele Betroffene wissen nicht, wie sie mit einer solchen Situation fertig werden sollen. Sie befinden sich in einem Schockzustand", sagt Jumpertz. Er erinnert sich an den Anruf einer Mutter, deren Tochter vergewaltigt worden war. Die hatte es erst ein halbes Jahr später geschafft, ihrer Mutter davon zu erzählen.

Solche Fälle gibt es nach Aussage von Karl-Heinz Jumpertz immer wieder. Angst, nicht ernst genommen zu werden oder die Tat nicht beweisen zu können, halte viele Frauen davon ab, sich zu offenbaren. Jumpertz weiß von Frauen, die Jahre nach der Tat in psychiatrische Betreuung mussten, weil sie nicht gleich Hilfe bekamen.

Karl-Heinz Jumpertz geht noch einen Schritt weiter. Er wirft der Justiz vor, sich nicht richtig für die Opfer einzusetzen. "Wenn ein Edathy mit der Zahlung einer Geldstrafe davonkommt, glaubt doch niemand ernsthaft mehr an die Justiz", beklagt er sich. Aber auch in Richtung Mediziner teilt Jumpertz seine Vorwürfe aus. Die Therapeuten hätten oftmals erst nach einem halben Jahr einen Termin, "da sind die drei Tage nach der Tat vorbei".

In Baden-Württemberg gebe es im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern noch keine psychologischen Notfall-Ambulanzen, die flächendeckend helfen könnten. In Friedrichshafen übernimmt diese Aufgabe die Sinova-Klinik in der Nachbarschaft zum Klinikum Friedrichshafen. "Eine psychische Krankheit ist so schlimm wie ein Herzinfarkt", sagt Jumpertz und hofft immer noch auf eine Verbesserung des Systems. Solange bietet er seine Hilfe an, und die seiner Mitarbeiter.

Der Weisse Ring ist ein bundesweit agierender, gemeinnütziger Verein und die einzige Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und ihre Familien in Deutschland. Der Verein leistet den Opfern Hilfe mit Rat und Tat, tritt öffentlich für die Interessen der Betroffenen ein und arbeitet auch auf dem Gebiet der Vorbeugung. Wer sich mit dem Weissen Ring in Verbindung setzt, kommt telefonisch in der Zentrale in Mainz an, wirfd von da dann an die regionalen Betreuer weitergeleitet. Die arbeiten aufgeteilt nach Landkreis ehrenamtlich und beraten sowohl persönlich wie auch am Telefon.

Der Weisse Ring finanziert sich über Mitgliedsbeiträge der rund 50000 Mitglieder, über Spenden und Stiftungen. Karl-Heinz Jumpertz ist seit Februar 2002 Mitglied im Weissen Ring und seit Februar 2005 Außenstellenleiter für den Bodenseekreis.

Erreichbar ist er hier:

Weisser-Ring Bodenseekreis, Karl-Heinz Jumpertz, Bergstraße 49 in 88690 Unteruhldingen. Telefonnummer 07556 / 966348, Fax 07556 / 966349.

www.weisser-ring.de

weisser-ring-bodenseekreis@web.de


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