Friedrichshafen / sz - Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat jüngst mit einer Studie für Aufsehen gesorgt. Jede zweite Frau hat demnach im Job schon Situationen erlebt, die rechtlich als sexuelle Belästigung gelten. Im Gespräch mit SZ-Redakteur Gunnar M. Flotow erklärt Peter Köstlinger, Präventionsbeamter bei der Polizei in Friedrichshafen, wie sich Betroffene verhalten sollten.
Herr Köstlinger, was kann ich tun, wenn ich mich von einem Kollegen am Arbeitsplatz sexuell belästigt fühle?
Ich fände es fair, wenn ich – als männliches, wie als weibliches Opfer – zunächst den Täter darauf aufmerksam mache, dass ich sein Verhalten nicht wünsche. Vielleicht liegt ja nur ein Missverständnis vor, das ich bei dieser Gelegenheit ausräumen kann. Möglicherweise war ein Kompliment wirklich nur nett gemeint und ist einfach falsch rübergekommen.
Wenn das Gespräch nichts nützt?
In diesem Fall ist es wichtig, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aufmerksamkeit erzeuge ich, indem ich mit meinen Kollegen über das spreche, was mir passiert ist. Wenn ich mit dem Problem allein bleibe, wird sich nichts ändern. Wenn die anderen Bescheid wissen, kann der Täter nicht mehr so weitermachen wie bisher. Also mein Umfeld in Kenntnis setzen.
Viele Betroffene haben Angst, ihrem eigenen Ansehen oder auch ihrer Karriere zu schaden, wenn sie sich wehren…
Wenn wir einen Übergriff von einem Vorgesetzten auf einen Untergebenen haben, wird es in der Tat schwierig. Dass die Leute Angst haben und abwägen, ist verständlich. Man darf sich’s aber trotzdem nicht bieten lassen. Man ist Opfer und hat nichts falsch gemacht.
Wenn ich nicht zum Chef gehen kann oder will – an wen sollte ich mich dann wenden?
Im Betrieb gibt es Betriebsräte oder Frauenbeauftragte, an die ich mich wenden kann. Auch ein Betriebsarzt kann ein Ansprechpartner für mich sein, wenn meine Gesundheit unter den Übergriffen leidet. Auch unabhängige Vereine gibt es, zum Beispiel "Frauen helfen Frauen".
Welche weiteren Möglichkeiten gibt es außerhalb des Betriebs?
Da gibt es die Möglichkeit, zur Polizei zu gehen. Eine Anzeige zieht immer ein Strafverfahren nach sich. Es kann sein, dass ein Vorwurf letztlich keinen Straftatbestand erfüllt, aber ausreicht, um ein zivilrechtliches Verfahren einzuleiten. Ein Beispiel: Die Bemerkung "Na du geile Schnecke" ist definitiv eine sexuelle Belästigung, juristisch betrachtet kann der Anfangsverdacht einer Beleidigung bestehen.
Wann kann man aus juristischer Sicht von einer sexuellen Belästigung sprechen?
Laut Definition des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) liegt eine sexuelle Belästigung vor, wenn ein Verhalten mit sexuellem Bezug von einer Seite, also dem Opfer, 1. unerwünscht oder 2. unangebracht oder 3. anstößig ist und diese Person in ihrer Würde verletzt wird.
Wie lässt sich denn eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beweisen?
In der Regel entwickelt sich eine sexuelle Belästigung als schleichender Prozess, der mit einem Wort, einem Blick oder einer Geste anfangen kann. Wenn ich nicht sofort dagegen vorgehe, wird sich das steigern. Irgendwann bin ich in der Situation, dass ich zum Chef, zum Betriebsrat oder zur Frauenbeauftragten gehe. Für diesen Tag X muss ich vorbereitet sein. Dann muss ich denen schildern können, was passiert ist. In den meisten Fällen gibt es ja keine Zeugen, sondern es handelt sich um Vorfälle, die sich zwischen zwei Personen ereignet haben. Wichtig ist deshalb, diese Vorfälle zu protokollieren. Außerdem sollte ich – wie vorhin schon gesagt – die Kollegen für das Thema sensibilisieren, damit die wachsam sind und vielleicht auch mal aktiv hinschauen oder hinhören. Vielleicht bekomme ich auf diesem Weg Zeugen für einen Übergriff.
Wird so ein Protokoll denn vor Gericht anerkannt?
Es trägt dazu bei, dass der Richter bei der Gesamtschau ein Bild gewinnt. Das Protokoll dient auch dazu, alte Fälle festzuhalten, die nach einem Jahr nicht mehr im Gedächtnis präsent sind oder später nicht exakt wiedergegeben werden können.
Welchen Wert hat eigentlich eine heimliche Sprach- oder Videoaufnahme?
Von heimlichen Aufnahmen rate ich als Polizist ab, denn damit macht man sich strafbar. In einer Gerichtsverhandlung kann so eine Aufnahme grundsätzlich nicht verwertet werden.