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Balancieren zwischen Leben und Tod

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Friedrichshafen / sz - Eine besonders reizvolle Herausforderung ist es für Schauspieler, fiktive Schauspieler auf die Bühne zu stellen. Das gilt für das Ensemble des Staatstheaters Cottbus, das am Donnerstagabend im Graf-Zeppelin-Haus gastiert hat, ebenso wie für die polnische Schauspieltruppe in Nick Whitbys Komödie "Sein oder Nichtsein" nach Ernst Lubitschs legendärem Film von 1941.

Immer aberwitziger wird deren Spiel vorangetrieben, denn hier geht es nicht wie in der Komödie "Der nackte Wahnsinn" um die vergnügliche Persiflage einer Schmierentruppe, sondern tatsächlich um "Sein oder Nichtsein", um Leben oder Tod: Schauspieler des Warschauer "Polski"-Theaters proben wenige Tage vor dem deutschen Überfall auf Polen die bissige Satire "Gestapo", welche die Nazis mit genau berechneter Ironie dekuvriert. Schauspieldirektor Dowasz ist nahe daran, die Nerven zu verlieren, Animositäten zwischen den Schauspielern drohen gefährlich auszuufern.

Wirklichkeit und Fiktion

Der Cottbuser Regisseur Mario Holetzeck inszeniert präzise, vermeidet das Abgleiten in gängige Klischees, lässt seinen Personen jenen Rest von Individualität, die sie als lebendige Menschen ausweist. Rasch holt die Wirklichkeit die Fiktion ein. Vor roten Stoffbahnen mit eilig aufgeklebten Hakenkreuzen und in Nazi-Kostümen spielt das Ensemble um sein Leben, muss alles wagen, um einen Doppelagenten und die echte Gestapo zu täuschen - die kleinste Unachtsamkeit würde den Tod bedeuten.

Rasch wechseln die Schauplätze vom Theater mit der Nazi-Hauptquartier-Kulisse ins gegenüberliegende reale Nazi-Hauptquartier. Alles ist hier noch größer: das Hitlerbild, die Hakenkreuze, der riesige Schreibtisch, auf dem der Gruppenführer Tennis spielt. Die Drehbühne erlaubt den raschen Wechsel zwischen Auftritten vor und hinter den Kulissen. Neue Perspektiven öffnen neue Ebenen – immer rascher folgen Umkehrungen und Brechungen. Zwischendurch wird auf Befehl William Shakespeares "Hamlet" gespielt – der zentrale Monolog, das "Sein oder nicht Sein", wird hier existenziell.

Hamlet-Monolog im Zentrum

Faszinierend, wie Oliver Breite das Über-sich-Hinauswachsen des mittelmäßigen, aber umso eitleren Schauspielers Josef Tura nicht nur nachvollziehbar, sondern zum Erlebnis macht. Tura darf wohl nur wegen seiner umschwärmten Frau Maria eine Vorzugsstellung am Theater beanspruchen, aufgeblasen deklamiert er seinen Hamlet-Monolog und wird zuletzt in höchster Gefahr doch zum großen Mimen. Faszinierend die Haltung, die wechselnden Gesichter der Diva – Kristin Muthwill, noch vom Theater Konstanz bekannt – spielt hier ihre erste Rolle im Cottbuser Ensemble.

Um sie herum ist ein Ensemble,, das den übrigen Figuren ein eigenes Profil verleiht. Bei allem Lachen bleibt das Grauen im Stück ständig präsent. Die echten Nazis entlarven sich als stupide Befehlsempfänger, die aber nicht dumm genug sind, um ungefährlich zu sein.


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