Friedrichshafen / sz - Was geht in einer jungen Frau vor, die ihr Auto in den Gegenverkehr lenkt? Ein psychiatrischer Gutachter hat am Montag Einblicke in die Persönlichkeit der 21-Jährigen Angeklagten gegeben, die sich vor dem Landgericht Ravensburg wegen versuchtem Totschlag verantworten muss.
Dieter Hagmayer, forensischer Psychiater aus Günzburg, stützte sein Gutachten auf drei Säulen: auf die Schilderungen in den Ermittlungsakten, auf die Erkenntnisse, die er während der ersten Verhandlungstage gewann sowie auf das Ergebnis einer zweistündiger Untersuchung der 21-Jährigen am 9. Dezember 2014. Bei dieser sogenannten psychologischen Exploration habe er keine Auffälligkeiten festgestellt, erklärte Hagmayer. Die junge Frau, die laut Staatsanwaltschaft am 28. Januar 2014 in selbstmörderischer Absicht zwischen Hirschlatt und Kehlen in ein entgegenkommendes Auto gerast sein soll, habe konzentriert gewirkt, ruhig geantwortet und keine Stimmungsschwankungen erkennen lassen. Sie habe sich selbst als offen, freundlich und kontaktfreudig bezeichnet. Selbstmordgedanken, versicherte sie dem Rechtsmediziner, habe sie nie gehegt.
Risse, betonte der psychiatrische Gutachter, habe das selbstgemalte Bild der Angeklagten jedoch durch die Aussagen ihrer Bekannten bekommen, die ihren Charakter so ganz anders beschrieben hatten. Von einer "impulsiven Persönlichkeit" sei da die Rede gewesen, von "Affekthandlungen", "zwei Gesichtern", einer "Scheinwelt" und "lebensmüden Gedanken", die sie gegenüber einer Freundin geäußert hatte. Ein Zeuge hatte auch berichtet, dass die 21-Jährige, wenn sie Ärger hatte, stundenlang mit dem Auto in der Gegend herumgefahren sei, um sich zu beruhigen.
Durcheinander der Gefühlswelt
Aufgrund dieser Aussagen und seiner eigenen Eindrücke bescheinigte Hagmayer der Angeklagten ein "jugendtümliches Verhalten", eine "eingeschränkte Frustrationstoleranz" und eine "unreife Persönlichkeit". Ihre Einträge auf Facebook und Whatsapp-Nachrichten – sie postete am Unfalltag ein Video des Sängers Xavier Naidoo mit dem Titel "Abschied nehmen" und ein Bild von Marylin Monroe – deuteten zum einen darauf hin, dass ihre Gefühlswelt durcheinander gewesen sei, zum anderen auf einen Mangel an Konfliktbewältigungstrategien. Am Tag des Unfalls habe zweifelsfrei eine "affektive Belastung" bei der 21-Jährigen bestanden, schließlich hatte ihre Chefin am Abend zuvor mit Rauswurf gedroht. Eine krankhafte seelische Störung oder eine psychische Krankheit, die eine verminderte Schuldfähigkeit mit sich bringen würde, konnte der Gutachter nicht erkennen.
Auf die Nachfrage einer Richterin, ob er eine medizinische Erklärung für den Erinnerungsverlust der jungen Frau habe, erklärte Dieter Hagmayer, dass dies angesichts der schweren Schädelverletzungen "durchaus nachvollziehbar" sei. Eine körperliche Ursache für einen Fahrfehler konnte er "nicht sicher ausschließen". Und der Umstand, dass die Angeklagte bei dem Unfall nicht angegurtet war? "Das deutet auf eine suizidale Handlung hin."
Die Verhandlung wird am Donnerstag, 26. Februar, um 9.30 Uhr fortgesetzt. An diesem Tag werden die Plädoyers und auch das Urteil erwartet.