Friedrichshafen / sz - "Im Land Arabien", so endet die Oper "Schahrazade", die am Donnerstagabend im Graf-Zeppelin-Haus von der Oper Halle aufgeführt wurde, "lebte einst ein Kaufmann". Danach fällt der Vorhang. Denn es geht in "Schahrazade" nicht um die Märchen aus Tausendundeine Nacht, sondern um einen brutalen Herrscher, um ein naives Weibsbild und um die Heilung eines gravierenden Minderwertigkeitskomplexes.
Grausam ist der Kalif (Gerd Vogel): Weil ihn seine Gemahlin einst betrog, ließ er sie töten. Und weil er nie wieder betrogen werden will, schwört er sich, Frauen von nun an nur noch tagesweise zu ehelichen. Am folgenden Tag, nachdem er mit ihnen das Bett geteilt hat, lässt er vorsorglich auch sie töten – von seinem Wesir (Ki-Hyun Park). Mit dieser ziemlich erbärmlichen Vermeidungsstrategie fährt zwar der Kalif drei Jahre lang gut, wenn man so möchte. Sein Volk fährt damit allerdings weniger gut, denn diesem gehen die Frauen, die "schön sind wie der Mond und jung wie der der Morgen", so langsam zur Neige. Bis zu dem Tag, an dem Schahrazade (Anke Berndt), die Tocher des Wesirs, von dem Minderwertigkeitskomplex des Kalifen Wind bekommt und sich zum Wohle des Volkes auch noch just darin verliebt. Als erste hübsche Mond- und junge Morgenfrau geht sie freiwillig zum Kalifen. Dieser erwidert zwar ihre Zuneigung, schickt den Henker aber nur deshalb weg, weil seine Herzensdame anfängt, ein Märchen zu erzählen: "Im Land Arabien", wie bereits bekannt ist.
Das ist – ziemlich grob nachgezeichnet – die Geschichte, die der Oper zugrunde liegt. Bernhard Sekles komponierte und Gerdt von Bassewitz schrieb sie. Erstaufgeführt wurde sie im November 1917. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt sie als verschollen. Vielleicht auch deshalb, weil die Nationalsozialisten auf Bernhard Sekles nicht so gut zu sprechen waren. Dann aber grub die Oper Halle sie aus Münchner und Stuttgarter Archiven wieder aus und tourt nun damit durchs Land, aber nicht Arabien.
Zukunftsvision des Kalifats
Obwohl die Oper auch im orthodoxen Orient gut ankommen könnte. Zwar nicht der Musik wegen, denn die enthält nur rudimentäre Spuren orientalischer Klänge. Aber wegen des verbrauchten Verhaltensmusters des Kalifen: Frauen werden gestohlen, genommen und, nach Gebrauch, enthauptet und entsorgt. Es könnte eine Zukunftsvision dessen sein, was uns bevorstünde, wenn die Terrororganisation Islamischer Staat ihr gewünschtes Kalifat tatsächlich auch auf Europa ausweiten sollte. Ferne Vergangenheit oder ferne Zukunft?
Schahrazade versucht eine Antwort: "Oh Frieden, der Du bist die Tiefe der Erde", singt sie, nachdem sie mit dem Kalifen die Nacht verbracht hat. Schahrazade ist kein naiv liebendes Weibsbild, sondern die vielleicht einzig vernunftbegabte Person in dem Stück. Mit einem ziemlich guten Plan geht sie zum Kalifen: Ihn zu heilen von seinem Minderwertigkeitskomplex, ihn zu befreien aus seiner "grenzenlosen Einsamkeit". Testosterongesteuert wie er ist, schafft es der Mann mal wieder nicht aus der Misere, die ihm die böse Welt angetan hat.
Die Oper ist sehr emotional. Die Musik, die so gut wie keine wiederkehrenden Motive hat, ist so tiefgründig, wie die Psyche der Figuren. Häufig verdichtet sich alles auf einen kurzen Moment, in dem die Musik aussetzt und nur ein einzelner Satz gesungen wird. Die Sänger behalten über das ganze Werk hinweg eine beeindruckende Intensität bei. Das Orchester, unter der Leitung von Kay Stromberg, erschafft einen permanenten, nicht greifbaren Klangteppich. Das Bühnenbild ist oberflächlich karg, aber in seinem Lichterspiel komplex.
Schahrazade ist keine einfache Oper. Sie verlangt dem Zuschauer viel ab. Aber – sicherlich auch dank der durchdachten Inszenierung der Oper Halle – dem, der sich mit ihr beschäftigt, hält sie einige musikalische Schätze bereit.