Friedrichshafen / sz - Das Landgericht Ravensburg hat in einer Berufungsverhandlung Haftstrafen gegen vier Rocker aus der Region in Bewährungsstrafen umgewandelt. Die vier hatten Anfang 2013 Besucher der Messe „Motorradwelt“ verprügelt. Thema der Verhandlung war auch, ob die Mitgliedschaft in einer Rockergruppe den Tätern zum Nachteil ausgelegt werden darf.
Statt Freiheitsstrafen ohne Bewährung von jeweils über einem Jahr, die im Mai in einem Aufsehen erregenden Prozess vom Amtsgericht Tettnang verhängt wurden, wurden nun Freiheitsstrafen zwischen zehn Monaten und einem Jahr auf Bewährung ausgesetzt. Damit müssen die verurteilten Rocker, von denen ein Mitglied der Szene mittlerweile abgeschworen hat, vorerst nicht ins Gefängnis.
Tränen, zitternde Stimme
Unbestritten in dem Berufungsverfahren war, dass die vier jungen Männer im Januar 2013 eine Besuchergruppe der Messe „Motorradwelt“ verprügelt hatten. Eines der Opfer wurde dabei zeitweise bewusstlos. Es soll Fußtritte ins Gesicht gegeben haben und zahlreiche Verletzungen.
Der Grund des Gewaltausbruchs war dabei so banal wie unglaublich: Einer der Besucher hatte die Rocker dem Sicherheitsdienst gemeldet, nachdem diese eine Messettoilette blockiert hatten: „Der hatte Türsteher beim Pinkeln“, kommentierte Richter Rolf-Peter Schall den Vorfall am Dienstag. Doch als die Opfer jetzt vor Gericht, mehr als zwei Jahre nach dem Vorfall, mit zitternder Stimme und Tränen von der später folgenden Rache-Prügelei berichteten, wurde klar, zu welchem Schreckenstag der Messebesuch für die Opfer wurde.
„Red Devils“, „Hells Angels“
Trotzdem wies das Landgericht jetzt das Urteil des Amtsgerichts Tettnang vom Mai 2014 zurück und gab den Täter mit Bewährungsurteilen und Schmerzensgeldzahlungen die Chance auf eine Verbüssung der Strafen ohne Gefängnisbesuch. Grund für das deutlich mildere Berufungsurteil war wohl unter anderem die Tatsache, dass den Männern die Mitgliedschaft in den Rockervereinigungen „Red Devils“ beziehungsweise „Hells Angels“ vom Amtsgericht in Tettnang zumindest indirekt zum Nachteil ausgelegt worden sein könnte. Sie erhielten, so war der Tenor der Verteidiger der jungen Männer, ungewöhnlich hohe Haftstrafen für schwere Körperverletzung. Während in ähnlich gelagerten Fällen teilweise sechs Monate auf Bewährung vergeben worden seien, hagelte es in Tettnang Haftstrafen ohne jegliche Chance, den Gefängnisbesuch zu vermeiden. Es sei der Eindruck entstanden „nur weil sie Rocker sind, müsste das höher bestraft werden“, sagte Verteidiger Peter Oelbermann in seinem Schlussplädoyer.
Staatsanwalt Matthias Mages sah dies standesgemäß anders. Er bescheinigte den vier Rockern, von denen sich nur der nicht unmittelbar an der Tat beteiligte Fahrer eines Fluchtwagens im Berufungsprozess halbwegs ausführlich äußerte, zunächst eine „fehlende kritische Auseinandersetzung mit der Tat.“ Außerdem sei die Tatsache, dass die Täter Mitglieder einer „verfassungsfeindlichen oder -kritischen Organisation seien“ ein Fakt, die der Rechtsstaat nicht ohne weiteres akzeptieren könnte. Lediglich dem Fluchtwagenfahrer räumte er daher die Chance auf eine Bewährungsstrafe ein. Die anderen drei Täter wären laut Mages nur mit minimal abgemilderten Haftstrafen davongekommen.
Richter Rolf-Peter Schall und zwei Schöffen schlossen sich dieser vom Staatsanwalt geforderten und von der Vorinstanz vorgegebenen harten Linie letztlich aber nicht an. Sie werteten auch die Tatsache, dass die Täter bislang nur wenig bedeutsame Vorstrafen hatten und dass sie seit dem Vorfall ein weitgehend geregeltes Leben führen würden als strafmildernd.