Friedrichshafen / sz - Nachdem ein ehemaliger Mitarbeiter der Stadtverwaltung seinen Computer unbedarft auf dem Sperrmüll entsorgt hat, sind vor knapp zwei Wochen sechs Gigabyte vertraulicher Daten in die Hände eines Häfler Bürgers gelangt. Die SZ hat direkten Einblick in die verlorenen Daten erhalten.
Sie stieß auf manch überraschende Vorgänge in den Amtsstuben der Verwaltung.
„Die Zahlen der neuen Stadtmarketing GmbH sind eigentlich schlechter als früher“, heißt es etwa in einem Protokoll, dassder ehemalige Mitarbeiter als Worddokument über zahlreiche Interna innerhalb des Rathauses geführt hat. Er berichtet darin aus Dezernentenrunden, internen Sitzungen oder auch persönlichen Gesprächen mit Verwaltungsmitarbeitern vom Bürgermeister bis zum Sachbearbeiter. Seine Notizen offenbaren oft in überraschend klaren Worten, wie die Stadtverwaltung im Inneren funktioniert.
So gelingt es der Stadtverwaltung laut dem genannten Dokument über eine Beiratssitzung im Jahr 2003 offenbar erfolgreich, einen Misserfolg der Stadtmarketing GmbH öffentlich als Erfolg zu verkaufen: „Der Vergleichspunkt wird so gewählt, als wären die jetzigen Zahlen besser“, heißt es in dem Dokument und weiter: „Entscheidend ist die Wahl der Referenz und des Bezugsrahmens. Dann erscheint die Sache oder das Ergebnis selbst einmal positiv und einmal negativ (erlebt bei städtischer Beiratssitzung am 14.10.2003).“
Dutzende solcher und ähnlicher Kommentare und Protokolle zu Vorgängen hinter verschlossenen Rathaustüren finden sich auf der Festplatte, die der Mitarbeiter während seiner Tätigkeit für die städtische Verwaltung in den Jahren 2001 bis 2007 angelegt haben muss. Darunter sind auch schützenswerte persönliche Dokumente wie Beurteilungen und Arbeitszeugnisse von Auszubildenden oder Praktikanten, Gutachten zu Diplomarbeiten, die bei der Stadt Friedrichshafen erstellt wurden, sowie etliche Sitzungsprotokolle, Budgetpläne und Adresslisten. Insgesamt liegen mehrere Hundert Dokumente mit Bezug zur Stadtverwaltung auf dem Datenträger.
Unbequeme Meinungen
Für die Öffentlichkeit interessant dürften vor allem jene Daten sein, die die Arbeit der Verwaltung beschreiben, ohne dabei schützenswerte private Angelegenheiten zu berühren. Ein Beispiel aus dem Jahr 2005 zeigt etwa, wie die Stadtverwaltung offenbar mit unbequemen Meinungen umzugehen pflegte: „Die Stadt will in den nächsten Jahren 40 Millionen Euro in den Schulbereich investieren, wobei der zu spät erstellte Schulentwicklungsplan sinkende Schülerzahlen und damit Überkapazitäten prognostiziert“, heißt es da, und weiter: „Dies sagt zumindest der Schulentwicklungsplaner, der aber heute im Ausschuss nicht auftreten darf, da sonst die Diskrepanz zutage träte.“
Vor allem die Verwaltung unter dem damaligen OB Josef Büchelmeier bekommt in Einträgen wie diesen ihr Fett ab. Das Gros der Daten betrifft nämlich den längst vergangenen Zeitraum der Jahre 2001 bis 2007, als Friedrichshafens gegenwärtiger Oberbürgermeister Andreas Brand noch gar nicht im Amt war. Dennoch haben die Dokumente und Protokolle auch heute noch einen Wert, denn Personal aus den genannten Jahren sitzt teilweise noch heute auf den selben Posten auch in oberen Amtsrängen.
Die interne Steuerung der Stadtverwaltung wird in dem gut 40 Seiten langen Arbeitstagebuch wiederholt als „dilettantisch“ beschrieben. Verantwortung werde immer wieder „hin- und hergeschoben“, heißt es da. Heftige „Friktionen“, also Reibungen zwischen Ämtern oder Amtsträgern, seien an der Tagesordnung.
Missbrauchtes Vertrauen
In einem anderen Eintrag aus dem Jahr 2005 heißt es zum Beispiel: „Die Entfremdung der Führungsspitze zu Amtsleitungen und ,Fußvolk’ ist riesig.“ Als Begründung liefert der einstige Mitarbeiter, der mit dem Auftrag, die Verwaltung der Stadt zu modernisieren, angestellt wurde, immer wieder ähnliche Begründungen: missbrauchtes Vertrauen zwischen Mitarbeitern und Führungspersonal, gegenseitige Blockaden verschiedener Ämter und der ständige Versuch, individuelle Interessen durchzusetzen statt Gesamtlösungen zu finden.
Auch die Presse bekommt in internen Sitzungen des Rathauses wohl hin und wieder ihr Fett ab. So berichtet das Dokument unter anderem von Versuchen, Journalisten „zum Stillschweigen“ zu bewegen. In einem Eintrag vom Mai 2005 beklagt sich eine Führungsperson der Stadtverwaltung zudem über Recherchen der ortsansässigen Zeitungen: Frau X beklagt sich über den Stil der Presse, wie sie an offiziellen Kanälen vorbei an Infos kommt.
Doch immerhin scheint der Verwaltung auch der Grund dafür bekannt zu sein, dass die Presse offizielle Wege der Informationsbeschaffung oft vermeide: „Wer die Formalstrukturen einhält und die geregelten Wege geht, kommt nicht weit, weshalb Informalwege vielversprechender sind.“