Friedrichshafen / sz - Das war eine enorme Herausforderung für Friedrichshafen und den Bodenseekreis. Mehr als 1000 Übersiedler aus der DDR kamen vor 25 Jahren hier an, und das innerhalb weniger Wochen. Als sich die Grenzen nach und nach öffneten und die Mauer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 fiel, war die alte Turn- und Festhalle an der Scheffelstraße bereits mit 150 DDR-Flüchtlingen gefüllt. Wenige Tage später waren es doppelt so viele.
Oberbürgermeister Bernd Wiedmann und Landrat Siegfried Tann hießen die Übersiedler persönlich willkommen. Sie setzten alle Hebel in Bewegung und richteten dringende Appelle an Vermieter. Die Resonanz war nur mäßig. Von den rund 4500 Zweit- und Ferienwohnungen, die im Bodenseekreis gemeldet waren, wurden bis Mitte November gerade mal etwa zwei Dutzend angeboten.
Doch viele Menschen machten angesichts des Massenexodus ihre Herzen und Türen auf. Die Pallottiner haben Leute in ihrem Gästehaus in Hersberg aufgenommen. Vier Friedrichshafener Pfarrer haben Zimmer zur Verfügung gestellt, auch die Hofkammer des Hauses Württemberg hat zwei Wohnungen angeboten. Etwa zwei Dutzend Menschen sind direkt von Arbeitgebern angeworben worden und bekamen sofort Arbeitsplätze, meist auch Wohnungen. Kleider- und Lebensmittelspenden wurden in der Festhalle von Privatleuten, aber auch von Geschäften in Hülle und Fülle angeliefert. Großes Engagement zeigten auch Vereine. Sie luden die Übersiedler zu Veranstaltungen ein, boten Kinderbetreuung an, Mitglieder knüpften persönliche Kontakte. Sogar die französischen Streitkräfte boten Immobilien an, was sich im Bodenseekreis allerdings als Flop erwies. Eine leer stehende Baracke in Langenargen war nicht einmal als Notunterkunft geeignet. Der endgültige Abzug der Franzosen entlastete wenig später aber den Wohnungsmarkt. Bald kam auch der soziale Wohnungsbau in Gang, den Wiedmann zusammen mit dem Gemeinderat vorantrieb.
Erstaunlich bleibt bis heute, wie schnell sich die Lage entspannte. Bis zum 16. November befanden sich nur noch 90 Personen in der Festhalle. Auch die Halle in Kehlen und die Linzgauhalle in Immenstaad leerten sich binnen weniger Wochen.
Die meisten Übersiedler kamen seit Mitte September über das Bundesaufnahmelager in Rastatt mit Bussen nach Friedrichshafen und hatten außer ein paar Koffer nichts dabei. Einige brachten in den Trabbis ihren ganzen Hausstand mit. Das Rote Kreuz und die Sozialämter kümmerten sich in den Notquartieren um Essen und halfen beim Ausfüllen der Papiere. Auch das Arbeitsamt richtete vor Ort Anlaufstellen ein.
Proteste in der Jugendherberge
Der Druck war riesig. So viele Menschen auf engstem Raum: Das wäre nicht lange gut gegangen. Zu Protesten kam es, als Mitte Dezember die Jugendherberge geräumt wurde. Für die meisten, die in den Notquartieren untergebracht waren, begann eine vollkommen neue Lebensphase, die nicht selten mit einer Odyssee durch Übergangsquartiere, Arbeitsplatzwechsel und mit familiären Verwerfungen verbunden war. Spurlos ging der Auszug und Umzug an keinem vorbei, wie die Geschichten auf dieser Seite zeigen.
Alles rund ums Thema „25 Jahre Mauerfall“ hat die Schwäbische Zeitung online zusammengestellt unter
www.schwaebische.de/mauerfall