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„Ich nahm mir das Leben zu Herzen“

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Friedrichshafen / sz - Selbst aus Lindau und Ravensburg sind Literaturfreunde am Montagabend zur Lesung von Katharina Hartwell in den Kiesel in Friedrichshafen gekommen. Die Autorin las aus ihrem Roman „Das fremde Meer“.

Die Literaturwissenschaftlerin, die in Frankfurt Anglistik und Amerikanistik studiert hat, hat statt der wissenschaftlichen Laufbahn ein Zusatzstudium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig absolviert. Dort habe sie zwar nicht die erhoffte Auseinandersetzung mit den Feinheiten des Schreibens erfahren, aber gelernt, sich gegen Widerstände durchzusetzen: „Ich bin ziemlich gefestigt in dem, was ich will. Ich möchte nicht reproduzieren, sondern meine eigene Sprache finden.“

Die 30-jährige Autorin hat ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, das sie aber keineswegs unangenehm zur Schau stellt. Und sie ist ein Energiebündel. Eine zierliche Frau mit langen blonden Haaren, einem offenen Gesicht. Sie hat vieles gelernt und erfahren und ist jetzt dabei, es umzusetzen, Modelle auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen.

Zehn Variationen von Liebe

Sie liest aus ihrem 2013 erschienenen Romandebüt „Das fremde Meer“, das die Liebesgeschichte zwischen Marie und Jan in zehn verschiedenen Variationen durchspielt. In wenigen Worten erklärt sie die Funktion der dann vorgelesenen Textstelle und was sie damit erreichen wollte. Die einzelnen Erzählstränge hängen letztlich zusammen, für den Zuhörer sind sie ohne Plan noch nicht zu entschlüsseln. Er erlebt unterschiedliche Welten und Zeiten, eine Kür des Schreibens nach selbstgewählten Vorgaben.

Märchen heute

Nicht ohne Brechung: Wenn Katharina Hartwell ihre Protagonistin als Prinzessin im Heute ansiedelt, die Folie des Märchens darüberlegt und dann sehr schnell liest und zudem intellektuelle Bemerkungen einfließen lässt, erlebt man, wie ein Märchen heute gestaltet sein könnte, das eigentlich gar kein Märchen mehr ist. Humor scheint auf, wenn ein Arzt der von Depressionen geplagten Prinzessin viel Bewegung empfiehlt und wohl noch mehr an modernen, von der Schulmedizin abweichenden Ratschlägen parat hat. Wir erfahren’s leider nicht. Interessant ist, der Autorin beim Lesen zuzuschauen. Sie legt ein ordentliches Tempo vor und hält es durch. Zwischendurch ein kurzer, schneller Blick ins Publikum, dahinter steckt ein wenig Unsicherheit, ein wenig Trotz.

Aufregend das Spiel ihrer schlanken Beine. So ruhig sie liest, so bewegt sind diese. Da skandiert die Fußspitze auf dem Boden den Takt, sie wechselt die Beinhaltung, rutscht auf dem Stuhl wie ein mühsam gebändigtes Wesen. Alles ist Bewegung, auch Suche nach der Reaktion der Zuhörer. Eine Kleinigkeit stört ein wenig: Der häufige Griff zum Wasserglas erzeugt Unterbrechungen an ungeeigneter Stelle. Es gelingt ihr, die Spannung wieder aufzubauen, aber... Am Ende gibt sie freimütig Auskunft über ihre Haltung zur Schreibwerkstatt. Sie habe gelernt, eigene Entscheidungen zu treffen - eigentlich viel.


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