Friedrichshafen / sz - Seit 170 Jahren erscheint in Friedrichshafen eine Zeitung. Heute trägt sie den Titel Schwäbische Zeitung. Ein Blick in das historische Umfeld ihrer Entstehung zeigt, dass es 1844 Zeit für eine Zeitung war.
In der zu Ende gehenden Biedermeierzeit erscheint am 1. Januar 1844 die erste Ausgabe des Württembergischen Seeblattes. Gründer und Herausgeber ist Carl Ignaz Schabet, der als junger Buchdrucker von der Königlichen Regierung des Donaukreises am 28. August 1843 die „Concession zur Errichtung einer Buchdruckerey und zur Herausgabe eines Amts- und Wochenblattes für den Oberamtsbezirk Tettnang“ bekommt.
Die Zeit ist reif für Zeitungen. Es ist die Zeit der zunehmenden Industrialisierung, der Beginn der Herrschaft der Mechanisierung und zugleich die Ära der Studentenaufstände, angelehnt an die französische Revolution. Der Weberaufstand in Schlesien und die Proteste in dieser industriellen Entwicklung landauf, landab prägten diese Epoche als eine Melange aus radikalem Bildungsbürgertum und obrigkeitsstaatlicher Gewalt. Historiker bezeichnen diese Zeit des 19. Jahrhunderts auch als die Wiege der Moderne, die gerade vor unserer Region und der jungen Stadt Friedrichshafen nicht Halt macht. Eisenbahnlinien prägen Stadtplan und Landschaft.
Carl Ignaz Schabet bringt sein Württembergisches Seeblatt in einer Zeit auf den Markt, in der in neue Technologien investiert wird. Unternehmertum im heutigen Sinne entsteht und setzt sich zunehmend gegen die klassische kaufmännische Ständegesellschaft durch. Immer mehr Firmen werden gegründet, gleichzeitig steckt die Wirtschaft in einer großen Krise, die durch Massenarbeitslosigkeit und Bevölkerungsdruck und eben den Pauperismus, die längerfristige Armut großer Bevölkerungsteile in Zeiten der Frühindustrialisierung, geprägt ist. In der Folge führen diese Zustände und die Hungersnöte und Miss-Ernten schließlich zu Hungerrevolten und ein Jahr später zur Revolution von 1848. Mitte der 40er Jahre jedoch stehen die Zeichen auf Fortschritt. Die jährliche Zuwachsrate der Bevölkerung in Württemberg liegt zwischen 1816 und 1864 bei 4,5 Prozent. Die Bevölkerung im Deutschen Bund, dem Zusammenschluss der rund 300 Fürstentümer, wächst in dem genannten Zeitraum von rund 30 Millionen Menschen auf 45 Millionen Menschen.
Zeichen stehen auf Fortschritt
Gleichzeitig beschert dieser Staatenbund auch eine enorme Behinderung wirtschaftlicher Entwicklungen durch zollrechtliche Schranken. Die zunehmende Verstädterung und die gleichzeitigen, deutlich verbesserten Bildungsangebote wecken den Hunger der Menschen auf Lesbares. Zwar lernt, wer die vier Jahre Elementarschule besucht, auch nicht viel mehr als Nähen und Kochen, in den Städten und vor allem einer entstehenden Bildungsbürgerschicht entwickeln sich jedoch ganz neue Bedürfnisse. Überall entstehen Buchhandlungen, Lesezirkel und -Clubs, in denen die Menschen das Lesen als Zeitvertreib und Bildungserrungenschaft pflegen.
Begünstigt wird diese Entwicklung sicherlich auch durch die schnelleren Verbindungen, die den Transport von Nachrichten deutlich verkürzen.
Dass die Entstehung der Eisenbahnen das öffentliche und private Leben drastisch verändert, schreibt Heinrich Heine im Jahr 1842: „Die Eisenbahnen sind wieder ein solches bestimmendes Ereignis, das der Menschheit einen neuen Schwung gibt, das die Farbe und Gestalt des Lebens verändert.“ Und genau dieser Schwung ist es, den Schabet nicht umfänglich bedient sieht. Er gründet sein Blatt, um „den Anforderungen unserer fortschreitenden Zeit zu entsprechen“, will Sinnvolles und Nützliches mit Unterhaltsamem verbinden.
Nichts anderes ist der Motor für die aus dem Boden schießenden Buchhandlungen gewesen. Die Belletristik übernimmt die Vormachtstellung, Zeitungen werden Anlass, sich in Caféhäusern zu treffen, weil sie dort ausliegen. Allein in Stuttgart wächst die Zahl der Buchhandlungen zwischen 1831 und 1844 von 17 auf 36, Berlin hatte 1844 mehr Buchhandlungen als ganz Österreich. „Alle lesen alles“ ist auf der Rückseite eines Bildes von Gustav Taubert „Im Berliner Lesecafé“ (1832) zu lesen.
So bedingt zur Zeit der Erstausgabe des Württembergischen Seeblattes das eine das andere. Rationalisierung und Verbilligung des Herstellungsprozesses im Buchdruck erleichtern die Herausgabe der Zeitung, Lesehunger und zunehmende Bildung, wenn auch nur in den oberen Schichten der Gesellschaft, befördern die Nachfrage. Auch wenn Schabet schon ein Jahr später Probleme mit der Zensurbehörde kommen sollte, so hat er auch die gemeistert und aus dem Württembergischen Seeblatt ist schließlich die Schwäbische Zeitung geworden.
Lesen Sie zum Thema auch die dieser Zeitung beiliegende Sonderbeilage „170 Jahre Zeitung in Friedrichshafen"