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Satire-Punk am Bodensee: Bis das Lachen stecken bleibt

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Friedrichshafen / sz - Politisches Kabarett scheint heutzutage so sexy wie ein Pullunder aus den 80er-Jahren. Wenn sie dann auch noch eine ordentliche Portion Politik aus dem Nachbarland Schweiz enthält, die der handelsübliche Häfler nicht gerade in der Rubrik „Mitternachtswissen“ einsortiert hat, wird es zu einer Herausforderung. Der Schweizer Satiriker Andreas Thiel hat sie am Mittwoch angenommen und im kleinen Zelt am Kulturufer einen ehrbaren Achtungserfolg für die fast vergessene Disziplin errungen.

„Comedy ist dazu da, damit humorlose Menschen etwas zum Lachen haben.“ Mit dieser Ansage gab der Berner Kabarettist mit der weithin sichtbaren Punker-Mähne schon früh im Programm seine Marschrichtung vor. Flache Gags der Kategorien „meine Frau, mein Auto, mein Haus" sind nicht seine Welt - wahrscheinlich verabscheut Thiel geradezu die Mario Barths und Cindy aus Marzahns dieser Welt. Seine Mission ist nämlich eine andere: „Man soll ganz schön mitdenken müssen“, hatte eine Besucherin im Publikum schon vor Thiels Programm „Macht“ angekündigt. Sie sollte Recht behalten.

So begann Thiel, stets ein gläschen Champagner in der Hand, dann auch einen wortgewandten Parforceritt durch die Schlechtheit der Welt, die das Publikum durch ein Wechselbad der Gefühle leitete. So waren seine minutenlangen Assoziationskettenmassaker um Solarstromtomaten und Atomkraftwerke – stets mit erhobenem moralischem Zeigefinger – begeisternd absurd und hielten stets den Moralinpegel gerade noch verdaulich.

Ein Vakuum der Macht

Natürlich war der eine oder andere Lacher dann auch schlichter Natur. So bescheinigte Thiel der Bundesrepublik keinesfalls ein Machtvakuum, das er in der von Volksbegehren oft gelähmten Schweiz erkannte. Kanzlerin Merkel würde vielmehr selbst ein „ein Vakuum sein, dass die Macht ausfüllt".

Vor der ersten Programmpause steigerte sich Thiel dann in eine Wortakrobatik, die manchen Zuschauer an die Grenzen des persönlichen Humors gebracht haben mag. Schon in der Schweiz hat Thiel – selbst jüdischer Abstammung – seine stets kluge Satire über Juden und Moslems, Koran und Bibel, Vegetarier und Massentierhaltung und eben auch eidgenössische Politesse im Gazastreifen bereits boshafte Leserbriefe eingebracht. Getreu dem Motto „wenn die Medien nur noch unterhalten, müssen die Unterhalter eben das Publikum informieren“, arbeitet er sich durch die Minenfelder der politischen Korrektheit. Es geht ihm dabei nicht um billige Effekte und schnödes Schockieren. Vielmehr serviert Andreas Thiel äußert unbequeme Wahrheiten, die vor allem dann, wenn er den Mantel der Satire kaum mehr darüber deckt, kaum angenehm verdaulich sind.

Wie erholsam ist es da, wenn sich Thiel zwischendrin in geradezu genial-apokalyptische Fantansien hineinsteigert, in denen von Weltuntergängen, hellblauen Flamingos und Photonen im Weltall die Rede ist. Ist das alles „elitäres Zeug“? Mitnichten. Aber seichtes Programm serviert der Schweizer Satire-Punk auch nicht gerade.


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