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Gymkhana-Rennen: 300 PS in der Waschmaschine

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Friedrichshafen / sz - US-Rallyefahrer Ken Block hat es zum Internet-Phänomen gemacht: Gymkhana, eine schräge, asiatische Autofahr-Disziplin, bei der Driften, Schleudern und Rutschen alles andere als Fahrfehler sind. Auf der Tuning World Bodensee werden heuer erstmals Rennen der deutschen Rennserie "Gymkhana Drift Cup" gefahren. SZ-Reporter Hagen Schönherr hat auf dem Beifahrersitz Platz genommen.

Als Marcel Nigemeier nach 35 Sekunden voll in die Bremse steigt, habe ich das Gefühl, mit dreifachem Körpergewicht in meine Gurte gepresst zu werden. Drei Dinge habe ich in der letzten halben Minute gelernt. Erstens: wofür eine Handbremse wirklich gut ist - nämlich um den Hintern eines Autos um ein Ölfass herum zu wuchten. Zweitens: Dass "festhalten" wirklich festhalten heißt. Drittens: Dass, wer zum Einparken mehr als 0,1 Sekunden braucht, eine lahme Ente ist.

Jetzt aber der Reihe nach. Ich befinde mich im Fahrerlager der Tuning World Bodensee. Während 90000 Autofans an diesem Wochenende bewundern, wie man Autos noch schöner lackieren und mit noch edlerem Leder aufwerten kann, hat der BMW E36 M3, in dem ich gerade sitze, nicht mal richtige Türgriffe. Dafür rödeln unter der Motorhaube 300 PS, die Räder lassen sich dank einer Speziallenkung nahezu quer zum Auto einschlagen und der Handbremshebel ragt senkrecht nach oben bis fast zum Dachhimmel.

Das Auto ist ein Rennwagen für eine noch relativ unbekannte, dank Internet aber immer beliebter werdende Rennsportdisziplin. Sie heißt Gymkhana, stammt ursprünglich aus Asien und ist seit dem Jahr 2008 wohl der erste Rennsport, den das Internet aus seiner Nische geholt hat. Millionenfach klicken Menschen im Internet zum Beispiel an, wie US-Fahrer Ken Block wie ein Irrer durch die gesperrten Straßen von San Francisco heizt, nur um seinen Wagen in zwei handbreit Abstand und qualmenden Reifen um eine Tonne zu manövrieren.

Quer bockt mehr

Marcel Nigemeier (26 Jahre) aus München, der gerade neben mir sitzt und die Hand an der türkisfarbenen Handbremse hält, hat dieses Virus auch ergriffen. Vor Dutzenden Zuschauern sitzen der Nachwuchsfahrer der jungen deutschen Gymkhana-Rennserie "Gymkhana Drift Cup" und ich gerade im Wagen am Start des Rennparcours, durch den Nigemeier uns gleich wohlbehalten lenken will. Wenige Meter neben uns steht ein weiterer Wagen, der die spiegelverkehrte Strecke abfahren wird. Es ist das offizielle Training der Serie für die Rennen am Samstag und Sonntag, bei denen Nigemeier seine ersten wichtigen Punkte als Fahrer für sein Team "Querbocktmehr" sammeln will.

"Wir fahren alles im ersten Gang", hatte Nigemeier vor dem Start gesagt. Die Strecke auf der Häfler Automesse gilt als besonders eng. Mehr als 60 oder 70 Stundenkilometer wird der Wagen daher nicht erreichen. Braucht er auch gar nicht.

Mit einem Ruck und Vollgas geht es nämlich schon los. Nigemeier lenkt den röhrenden BMW ein Augenblinzeln später auf eine Mauer von Pylonen zu und ich erwarte nur noch den Aufprall.

Stattdessen springt der Wagen aber plötzlich – dank Handbremse – ruckartig zur Seite - was mein Kopf im selben Moment auch tut - und dreht sich dann quer zur Fahrtrichtung im Kreis durch den Parcours-Teil namens "Waschmaschine". Mir ist auch, als wäre ich eine Wollsocke im Schleudergang.

Nur aus dem Augenwinkel kann ich derweil erkennen: Wir sind einen Tick langsamer als der andere Wagen im Spiegelkurs. Dann braust Nigemeier aber schon, wie die sprichwörtlich gesengte Sau, durch die "Acht" - einen Parcours, bei dem das Auto wechselweise um zwei Öltonnen geworfen wird. Mir wird ein bisschen flau.

Nach knapp 35 Sekunden, später wird Nigemeier 32 Sekunden schaffen, fetzen wir aber schließlich mit einer Vollbremsung durch die Lichtschranke am "Parkplatz". Es ist das traditionellen Ende jedes Gymkhana-Parcours.

"Nochmal?", fragt Nigemeier. "Nochmal", sage ich.

 


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