Friedrichshafen / sz - In elf Messehallen haben jetzt wieder Liebhaber aufgemotzter Autos, schriller Lackierungen und wattstarker Autoradios das Sagen. Die Messe "Tuning World", die heute zum 13. Mal ihre Pforten öffnet, ist eine Art Gegenprogramm zu Vernunftdenken, ökologischer Mobilität und Radfahrideologie – und wohl genau deshalb so erfolgreich.
Um zu merken, dass Friedrichshafen derzeit wieder Deutschlandzentrum einer ganz besonderen Gattung von Autofahrern ist, braucht es eigentlich gar keinen Gang zur Messe. Es reicht, sich am Donnerstag, Freitag, Samstag oder Sonntag irgendwo an die B31 zu stellen. Es dürfte nur Sekunden dauern, bis der erste Wagen – tiefergelegt, in giftgrün, orange oder schimmernder Metalic-Farbe, röhrend durch die Straße braust. Wenn heuer rund 90000 Fans aufgemotzter Kisten – wegen des Wetters und des ungünstig liegenden Feiertags wahrscheinlich gut 10000 weniger als im Vorjahr – die hiesige Messe ansteuern, gibt es genau zwei Reaktionen auf dieses Geschehen: Jene der Menschen, die kopfschüttelnd am Straßenrand stehen – und jene, die den protzigen Boliden aus einer anderen Welt sehnsüchtig hinterherblicken.
Welchem Lager man auch angehört, um die Seele der PS-Liebhaber zu entschlüsseln, lässt sich ein Besuch auf der Automesse dann doch nicht vermeiden. Einen ersten Blick hinein gewährte am Mittwoch schonmal Harald Schmidtke vom deutschen "Verband der Automobiltuner". Autos? Für Tuning-Enthusiasten sind das "Dinge, an denen sie Spaß haben und die sie nicht zuvorderst brauchen, um von A nach B zu kommen." Viele der Fahrzeuge, die jetzt auf der Tuning-World zu sehen sind, dürften das Jahr wohl tatsächlich eher in der Garage als auf der Straße verbringen – und sind auch gerne mal so tiefgelegt, dass jede herbere Bodenwelle eine akute Gefahr für den Unterboden werden kann.
Wer etwa den auf Hochglanz-Weiß aufpolierten 1937er-Ford Roadster von Lain Bowels aus England zur Wochenendausfahrt missbraucht, dürfte in den Augen vieler Tuning-Fans ein Verbrechen begehen. Und unter "Ausnahmen bestätigen die Regel" dürfte eine Aussage von Dieter Hofem, Geschäftsführer des Autopolitur-Spezialisten "Chem-Tools", gehören, der es geschafft hat, einen Original-Filmwagen der Kultfilmreihe "Zurück in die Zukunft", einen DeLorean DMC-12, nach Friedrichshafen zu schaffen. "Der Besitzer", sagt Hofem", "fährt damit seine Kinder zur Schule". Na gut.
Auf jeden Fall treibt Tuning-Fans die Lust am Herzeigen des Erreichten nach langer, vielleicht völlig hirnrissiger aber wohl genauso befriediger Arbeit an ihren Kisten, an: Ein Auto wird in jahrelanger Kleinarbeit – und auch mal unter Herausgabe des letzten Cents – in ein Unikat verwandelt. Und dann, zum Beispiel zu diesen Messetagen, kommt die Belohnung in Form staunender Blicke und etlicher Fotos, die nun von den 1000 Tuning-Kisten auf der Messe im Internet hin und hergesendet werden dürften.
Ist das Kunst oder fährt das weg?
"Die Bewerbungen der Tunings-Clubs werden immer aufwändiger", bemerkt Messechef Klaus Wellmann passend dazu. Während also deutschlandweit immer weniger junge Menschen ein Auto haben, Carsharing in größeren Städten unerwarteten Erfolg zeitigt und unlängst sogar für Friedrichshafen kostenloser öffentlicher Nahverkehr gefordert wurde, versiegt bei Hardcore-Fans die Lust am Tunen nur sehr langsam. Und mal ehrlich: Wer hat nicht beim Kauf des eigenen Wagens beim Blick auf die Zubehörliste das eine oder andere Extra angekreuzt?
Wo Tuning beginnt und endet, ist eben Ansichtssache. Mit Vernunft und Nüchternheit ist diesem Phänomen nicht beizukommen. Und wer sich scheut, das ganze als Ventil für alle möglichen unterdrückten Begehrlichkeiten zu sehen, der sollte es einfach machen wie Messechef Klaus Wellmann. Der deklarierte das Geschehen dieser Tage auf der Messe Friedrichshafen kurzerhand zur "Kunst".
So geht’s der Branche
Weltweit hat die deutsche Tuning-Branche 2014 4,6 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Trotzdem hat sie Grund zur Sorge: Weil immer weniger junge Menschen ein eigenes Auto haben, stagnieren die Umsätze immer öfter. Das könnte ein Grund sein, dass 2015 eine handvoll weniger Aussteller, aber weiter viele Privatwagen, auf der Tuning-World vertreten sind. Die Wachstumsmärkte der Zusatz-PS-Branche heißen längst USA oder China. Übrigens: Während Tuningfans derzeit weniger Geld als bisher in ihre Autos stecken, wächst der Markt für Luxus-Tuning.
Messehighlights am Donnerstag
Auf der Tuning World gibt es an allen Messetagen ein umfangreiches Programm. Neu und auch für Nicht-Autofans interessant dürfte die Luftkissenboot-Aktion "Hovercraft Experience" sein. (9.45, 12, 13.45, 14.4, 16.30, 17.30 Uhr, Messe See)
Für viel Aufsehen dürfte auch der Gymkhana Drift Cup sorgen - eine Art Präzisions-Parcours-Sport für Autos. (13, 15, 16.30 Uhr, Drift Area)
PS-Profi Sidney Hofmann versteigert im 12.15 Uhr in Halle A2 getunte Gebrauchtwagen. Die Show ist meist besser, als die Autos.
Auf dem Yokohama-Offroad-Parcours gibt es von 10 bis 18 Uhr Mitfahrgelegenheiten der besonderen Art.
Das ganze Programm gibt es im Internet unter
www.tuningworldbodensee.de