Friedrichshafen / sz - Sein erster Roman "Wie der Soldat das Grammofon repariert" hat auf Anhieb so eingeschlagen, dass er bereits in 30 Sprachen übersetzt wurde. Jetzt ist Saša Stanišic mit seinem zweiten Roman "Vor dem Fest", der den Preis der Leipziger Buchmesse 2014 erhielt, nach Friedrichshafen gekommen, wo er doch nicht bekannt genug war, um den Kiesel zu füllen.
Dabei sprudelt der 1978 in Bosnien geborene, seit 1992 in Deutschland lebende Autor nur so von Ideen, von Geschichten in seinem Kopf. Lebhaft begleiten Arme und Hände jedes Wort. Wer ihn so sieht, kann sich vorstellen, dass er beim Schreiben den auf ihn einstürmenden Bildern kaum nachkommt. Beim Lesen sind sie so präsent, als stünden die Figuren vor ihm. Darauf angesprochen, bestätigt er: "Ich habe große Freude an einigen meiner Figuren und ich mag es, wenn Sie das Gefühl haben, mit mir dort zu sein."
Dabei haben ganz andere Figuren Pate gestanden: Nicht die Ückermark und das Dorf Fürstenwerder, das im Roman zum fiktiven Fürstenfelde wurde, standen am Anfang, sondern ein einsames Dorf in Bosnien, wohin ihn seine Großmutter führte, um ihn mit der Heimat seiner Groß- und Urgroßeltern vertraut zu machen. Dort hat er die Geschichten der letzten 13 Bewohner aufgeschrieben, hat den Strukturwandel erlebt, der in den Roman einfließt. Dort hat er lange Gespräche mit einem alten Maler geführt, der im Buch zur 90-jährigen Malerin Anna Kranz wurde, von der er eine lange Passage vorgelesen hat.
Das Dorf, das ihm als Schauplatz vor Augen stand – nicht in den Bergen, sondern im flachen Land, mit zwei Seen – hat er in der Ückermark im Nordosten Brandenburgs gefunden. Um jedoch mit dessen Bewohnern und ihrer Sprache heimisch zu werden, hat er ein Jahr lang recherchiert. Jedem der so lebensecht ausgemalten Charaktere habe er seine Sprache gegeben, bis hin zur Füchsin, die nur Worte gebrauchen durfte, die in ihrem Erfahrungsbereich liegen.
Spiel mit der deutschen Sprache
Und so sehen wir sie direkt vor uns: die 90-jährige Frau Kranz, die trotz Nachtblindheit an den nächtlichen See geht, um ein Nachtbild zu malen und ihren Erinnerungen zu begegnen, in Abendkleid und Regencape, mit Zigarre und einer Thermosflasche Fencheltee mit Rum. Und wir lernen den Fährmann kennen, der schon im zweiten Satz tot ist: "Wir sind traurig. Wir haben keinen Fährmann mehr. Der Fährmann ist tot. Zwei Seen, kein Fährmann... wer uns erzählen soll, was die Ufer treiben, wissen wir nicht." Das Motiv durchzieht den Roman, lebt in den Menschen fort, deren Geschichte zurückverfolgt wird bis zum 30-jährigen Krieg. Gegenwart und Vergangenheit mischen sich, werden zum farbig sprühenden, kraftvollen Tableau. Wie sagte der Autor: "Deutsch ist eine sehr flexible, bespielbare Sprache, ich genieße es, damit zu spielen." Eigentlich wollte er Lehrer für Deutsch als Fremdsprache werden, hat es studiert und unterrichtet auch noch in Hamburg, aber der Erfolg seiner Bücher hat ihn überrannt, und er genießt es.